Am 28.10 kommt "BORGA" in die Kinos. TV Movie Online durfte vorab mit dem Hauptdarsteller Eugene Boateng und Regisseur York-Fabian Raabe über das Herzensprojekt der beiden sprechen!
Beim renommierten Max-Ophüls-Festival hat "BORGA" richtig abgeräumt - zurecht! Zehn Jahre lang haben die Vorbereitungen gedauert - am 28.10 ist es endlich so weit, "BORGA" kommt in die deutschen Kinos. TV Movie Online durfte vorab mit Schauspieler Eugene Boateng und Regisseur York-Fabian Raabe über die Bedeutung von Familie, persönlichen Ängsten und der Schönheit Ghanas sprechen.
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"BORGA": Darum geht's!
Die zwei Brüder Kojo (Eugene Boateng) und Kofi (Jude Arnold Kurankyi) wachsen auf der Elektroschrott-Müllhalde Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra auf. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie im Betrieb ihres Vaters (Adjetey Anang) mit dem Sammeln von Metallen, die sie aus westlichem Elektroschrott gewinnen. Eines Tages macht Kojo eine Begegnung mit einem Borga (Elikem Kumordzie), die sein Leben für immer verändern wird. Als sich 10 Jahre später die Chance ergibt nach Deutschland zu gehen, zerreißt das Familienband und für Kojo beginnt eine vierjährige Irrfahrt über die Kontinente. In Deutschland angekommen bemerkt er schnell, dass sein Traum nur ein Mythos ist. Er wird nicht mit offenen Armen empfangen. Aber eine Rückkehr kommt nicht in Frage! Sein Lichtblick ist Lina (Christiane Paul), doch auch bei ihr versucht er das Bild zu erfüllen, von dem er denkt, dass es alle von ihm erwarten – das Bild des Borgas.
TVMovie.de: Aufgrund der Corona-Pandemie musste der Film-Start mehrmals verschoben werden. Wie fühlt es sich, dass der Film endlich in die Kinos kommt?
Eugene Boateng: Aufregend! Es war wunderschön, dass wir "BORGA" schon auf dem Max-Ophüls-Festival zeigen durften. Aber es hatte auch einen bittersüßen Beigeschmack, weil die Leute den Film alleine auf ihrem Laptop gucken mussten. Wir konnten die Reaktionen nicht richtig erleben, als sie den Film das erste Mal gesehen haben.
York-Fabian Raabe: Die größte Challenge ist, die Leute überhaupt ins Kino zu bekommen. Wir wollen, dass der Film auch wirklich angeschaut wird. Er soll den Boden für weitere Filme dieser Art bereiten. In der Filmbranche ist es ein harter Kampf, diese Art der Erzählweise bekannter zu machen.
TVMovie.de: Der Film thematisiert ein sehr ernstes Thema - habt ihr Angst, dass das auf potenzielle Zuschauer abschreckend wirken kann?
EB: Ich habe keine Angst! Ich denke jeden Tag nur daran, wie wir die Menschen darauf aufmerksam machen, dass der Film existiert. Ich glaube es gibt viele, die den Film sehen wollen, wenn sie wüssten, dass es ihn gibt.
YFR: Bei mir ist manchmal die Sorge da, dass die Menschen einen falschen Eindruck davon gewinnen, was für ein Film das ist. Dass sie denken, es sei ein Mitleidsfilm, der einen nur runterzieht. Viele Menschen haben ein vorgeprägtes Bild, wenn es um Filme über den afrikanischen Kontinent geht. Ja, der Film ist hart und emotional, aber es ist genauso ein lebensfroher, lebensbejahender Film. Es geht darum, sich das Gute im Leben zu greifen, egal wie schwer man es hat. Wenn man den Film nur kurz wahrnimmt, befürchte ich, dass er falsch eingeordnet wird.
TVMovie.de: Eugene, was war für dich der ausschlaggebende Grund, die Rolle des „Kojo“ anzunehmen?
YFR: Ich muss vorwegsagen, Eugene hat ein Jahr lang das Drehbuch überhaupt nicht gelesen, weil er auch davon ausgegangen ist, dass es wieder eine plakative Mitleids-Story ist.
EB: Ich hatte es satt, klischeebehaftete Anfragen für Drogendealer-Rollen zu bekommen. Dann habe ich auf manche Sachen einfach nicht mehr reagiert, weil es immer dasselbe war. Unter anderem war bei den Anfragen auch „BORGA“ dabei - was ich aber nicht wusste. Ein Jahr später hab ich dann York getroffen, der mir erzählte, worum es in dem Film gehen soll. Daraufhin habe ich mir sofort das Drehbuch durchgelesen - ab dem Zeitpunkt war ich hin und weg! Mir war klar, das ist genau das, was ich erzählen will! Als ich die Rollenbeschreibung gelesen habe, musste ich an meinen Vater denken. Ich war stolz, dass ich damit auch seine Geschichte erzählen darf. Ich bin sehr nah an „Kojo“ dran und glaube, dass es vielen auch so gehen wird.
TVMovie.de: Wie hat dein Vater auf den Film reagiert?
EB: Der hat den Film leider auch nur auf dem Laptop gesehen, er fand ihn aber ganz toll. Diesen Monat gehen wir alle gemeinsam ins Kino, dann werden wir nochmal darüber sprechen und dann will ich seine Reaktion sehen.
TVMovie.de: Warum hast du dich als Regisseur gerade für das Land Ghana entschieden?
YFR: Ich habe auch schon in Johannesburg gedreht, aber das ist doch ein härteres Pflaster als Ghana. Es gab viele Faktoren! Ghana ist ein unheimlich herzliches Land. Eins, dass sich als Einheit versteht. Es ist ein Land in dem Muslime und Christen friedlich nebeneinander leben und das macht Ghana für mich aus. Es ist einfach die Offenheit gegenüber allen Menschen, die dort hinkommen.
TVMovie.de: Euer Film wurde auf mehreren Festivals nicht gezeigt, weil ein weißer Mann Regie geführt hat. Was glaubt ihr, was das Problem daran ist?
EB: Ich muss hier direkt eingreifen bevor York loslegt. Die Black Lives Matter Bewegung verwirrt vor allem viele weiße Menschen. Diejenige, die etwas Positives zu der Bewegung beitragen wollen, wissen oft nicht, wie sie es anstellen sollen. Aus der Perspektive der schwarzen Community besteht das Problem, dass viele weiße Menschen Filme "über" Schwarze gemacht haben und sie viel zu oft lächerlich, wild usw.… dargestellt haben. Filme wie „Die weiße Massai“ waren Filme "über" uns. Über die „wilden Afrikaner“. Ich glaube, dass eine Möglichkeit die Probleme anzugehen das Zusammenkommen ist. Wir müssen uns auf Augenhöhe begegnen, respektvoll voneinander lernen und gemeinsam Dinge schaffen. Jetzt haben wir uns zusammengetan und dieses Projekt auf die Beine gestellt, was nicht über jemanden spricht, sondern es ist ein Gemeinschaftsprojekt, doch die Leitungen der Festivals haben aufgrund der Drucksituation Angst und geben uns keine Chance.
YFR: Es gibt einige Menschen in Deutschland, die sind diesbezüglich sehr dogmatisch und teilweise auch schon ideologisch. Dabei ist das Ziel hinter dieser Dogmatik absolut in Ordnung, also dass Menschen, die nicht so oft gezeigt werden, mehr und authentisch dargestellt werden. Die Dogmatik schafft aber in unserem Fall genau das Gegenteil. Diejenigen die den Film nicht zeigen, nur weil ich weiß bin, schaden allen anderen Beteiligten am Projekt, wie den Schauspieler:innen, den Teammitglieder:innen usw. Deshalb sollte nicht die Frage sein, welche Hautfarbe welches Teammitglied hat, sondern ob der Film authentisch ist und wie die Menschen, um die sich der Film dreht, im Film präsentiert und innerhalb des Teams repräsentiert werden.
TVMovie.de: In eurem Film ist das Thema Familie ein ganz zentrales - bedeutet Familie in Ghana etwas anderes als in Deutschland?
EB: Ich bin damit groß geworden, wie wichtig Familie ist. Bestimmte Verantwortungen hat man, weil man eine Familie ist, ob man es mag oder nicht. Ein gutes Beispiel ist das Rentensystem. In Deutschland zahlen wir in eine Rentenversicherung ein, in Ghana zahlst du keine Versicherung, sondern du gibst das Geld direkt deiner Familie - es gibt da einfach keine Umwege. In Ghana gibt es ein Sprichwort, das auf Deutsch ungefähr bedeutet: "Ich achte auf dich bis deine Zähne wachsen und du achtest auf mich bis meine Zähne ausfallen."
YFR: In Deutschland sind wir viel mehr Einzelkämpfer*innen, jeder macht sein eigenes Ding. In Ghana ist die Verantwortung untereinander viel stärker. Man hat ein viel größeres Bewusstsein füreinander zu sorgen.
TVMovie.de: Im Film hören wir das Wort Borga ganz unterschiedlich verwendet - in manchen Situationen als Kompliment, in anderen als Beleidigung. Wie ist die Sicht der Menschen in Ghana?
EB: Man hat Borga viele Jahre als jemanden gesehen, der es geschafft hat, weil er einem Wohlstand bringt. Mit der Zeit haben die Menschen aber mitbekommen, dass Borga oft nur eine Illusion ist. Es kommt sehr darauf an, wer vor einem steht.
TVMovie.de: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Merle Rebbin
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