Wo geht es hin? Beim Karlovy Vary Film Festival kommen die Protagonisten von Nanouk Leopolds "Cobain" und P. Pawlikowksis Cannes-Gewinner "Cold War" nicht zur Ruhe.
vom KVIFF 2018 berichtet: David Rams
Anschauen. Aufnehmen. Weitersuchen. Beim Karlovy Vary Film Festival 2018 fühlt man sich schon so ein wenig wie die Protagonisten zu Beginn von Pawel Pawlikowskis "Cold War", der beim diesjährigen Cannes-Filmfestival mit dem großen Regiepreis ausgezeichnet wurde. Klar, die Eiseskälte und die desolaten Zustände im ländlichen Polen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einmal ausgeklammert, sucht man hier und dort nach dem Besonderen, dem Einzigartigen und dennoch etwas Vertrauten, das direkt die Emotionen anspricht.
KVIFF 2018 Kurzkritik: Cold War von Pawel Pawlikowski
Eigentlich denkt Komponist Wiktor (Tomasz Kot), dass er in den abgelegenen Bergregionen Polens nicht nur versteckte musikalische Entdeckungen machen, sondern möglicherweise auch einen Teil der polnischen Identität kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aufspüren kann. Doch am Ende findet Viktor vor allem die rassige, selbstbewusste und talentierte Sängerin Zula (Joanna Kulig) – und mit ihr die unendliche (destruktive) Liebe.
Nachdem Pawlikowski 2013 mit seinem brillanten Schwarzweiß-Historiendrama "Ida" mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet wurde, ist auch „Cold War“ eine Ode an die expressionistische Kraft seiner betörenden Bilderwelten. Diesmal stellt Pawlikowski die unmögliche Liebe eines Komponisten und seiner jungen Muse in den Mittelpunkt, die sich beinahe elliptisch im Chaos der sowjetischen Nachkriegszeit abspielt. Von Stadt zu Stadt, von Konzertsaal zu Konzertsaal wächst die Hoffnung, das die fragile und leidenschaftliche Liebe von Zula und Wiktor eine Chance hat. Doch die Ruhelosigkeit und Ungebundenheit ermöglichen erst, dass die Beziehung der beiden funktioniert: Als Wiktor für das Wohl der Nation als Künstler Kompromisse eingehen soll, will er sich mit Zula ins Ausland absetzen. Doch im entscheidenden Moment riskiert er alles – und verliert.
Es beginnt eine jahrelange Suche nach Liebe, Glück und Passion, die Zula und Wiktor immer wieder zueinander treibt – und meist kurze Zeit später voneinander weg. Das bestimmende Element bleibt ihre Liebe füreinander – und ihre Passion und ihr Kampf für die Musik. Pawlikowskis konstante Schwarzblenden, die den Film in viele kleine Segmente gliedern, mögen irritierend sein, weil sie viele Szenen oder Musikstücke in den schönsten Momenten einfach auseinanderreißen – doch sie bilden das stilistische Äquivalent zur dramatischen On-Off-Beziehung der beiden Protagonisten. Die Liebe von Zula und Wiktor findet einfach keinen Moment der Ruhe. Und so wunderbar die ästhetisch-brillanten Bilder von Lukasz Zal sein mögen, so grandios ist das Spiel der beiden Hauptdarsteller Tomasz Kot und Joanna Kulig. Nach „Ida“ ist auch „Cold War“ ein wunderbares Stück Kunstkino, das auf der größtmöglichen Leinwand genossen werden sollte.
KVIFF 2018 Kurzkritik: Cobain
In ständiger Bewegung ist auch der Protagonist in Nanouk Leopolds "Cobain", der in der Generation-Sektion der Berlinale seine Premiere feierte. So wirklich nachvollziehen kann der 15-jährige nicht, warum ihn seine Mutter unbedingt nach einem Rock-Star benennen musste, der sich das Hirn weggeblasen hat. Doch für Cobain ist vieles an seiner Mutter Mia rätselhaft: ihr Drogenkonsum, ihre Schwangerschaft, ihre Sorglosigkeit und manchmal auch ihre mütterliche Kälte, die die beiden ständig auseinandertreibt. Doch Cobain weiß, wie man sich alleine durchschlägt – auch wenn es nicht immer ganz so sauber abläuft, wie es die Gesellschaft um ihn herum gerne hätte.
Auch wenn er bei seinen neuen Pflege-Eltern mit Bio-Garten und Landidylle sicher wunderbar aufgehoben wäre, zieht es Cobain in der ersten Nacht zurück in die Stadt und in die Nähe seiner leiblichen Mutter. Getrieben von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Zuwendung landet Cobain bei einem Zuhälter und hält sich als dessen rechte Hand über Wasser. Bis er wieder auf seine Mutter Mia trifft…
Es gibt viele Filme über das Erwachsenwerden. Es gibt viele Filme über drogenabhängige Eltern, über destruktive Bekanntschaften, gefährliche Stolpersteine oder falsche Entscheidungen in jungen Jahren. Doch selten hat ein Coming-of-Age-Film so viel Empathie für seine kleinen und großen Protagonisten bewiesen, wie Nanouk Leopolds „Cobain“. Das Gefühl der Umtriebigkeit und Ziellosigkeit erzeugt die Regisseurin mit ihrer unglaublich dynamischen Kamera und entfesselten Inszenierung. Protagonist Cobain bewegt sich fast wie eine Naturgewalt durch die mitreißend eingefangenen Bilder. Auch wenn der Film wenig Überraschungen bietet, lässt Leopold der Geschichte viel Raum zum Atmen und macht ihn auch deshalb zu einem der Highlights im Programm des KVIFF 2018.