"Narcos: Mexiko" ist endlich gestartet! Und im Gespräch mit TV Movie.de erklärt Hauptdarsteller Diego Luna, wieso „Narcos: Mexiko“ noch viel besser ist, als sein Vorgänger.
Aus Kolumbien wird Mexiko. Doch bei "Narcos: Mexiko" ist nicht nur das Setting ganz neu, sondern auch der neue Gegenspieler Miguel Angel Felix Gallardo. Mit einen veränderten Schauplatz, einer frischen Story und vor allem einem anderen Cast startet die Netflix-Serie als „Narcos: Mexiko“ einen Neuanfang. Und der soll es in sich haben! Zumindest laut Diego Luna, der darin den Drogenboss Felix Gallardo darstellt. Wir haben den mexikanischen Schauspieler im Zuge der Serien-Vorstellung in Bilbao getroffen und mit ihm über die Vorzüge der neuen Staffel gesprochen.
TV Movie.de: Was macht die Figur Felix Gallardo so besonders? Was hat Sie an ihm fasziniert?
Diego Luna: "Ich muss sagen, Felix ist ein sehr interessanter Charakter. Er hat viel in seiner Zeit, als er für den Gouvernör gearbeitet hat, gelernt. Er hätte auch die Fähigkeit, ein Politiker zu sein, denn er hat es geschafft, jeden davon zu überzeugen, zusammenzuarbeiten und eine Organisation geschaffen, die eigentlich für unmöglich gehalten wurde. Und das mit Leuten, die versucht haben, sich gegenseitig zu töten. Vom Aufbau her glich es eher einer Unternehmenskooperation, wo kein einzelner so wichtig ist wie das System an sich. Felix war allen immer einen Schritt voraus und wusste mehr als alle anderen. Er ist ein Typ, der dich verzaubern kann, um das zu bekommen, was er braucht.
Was ich an der Serie mag, ist, dass sie zeigt, dass er 'El Chef' ist, obwohl er für jemand anderen arbeitet, nämlich für das Unternehmen und auch für die politisch Mächtigeren, also die Politiker, das Militär, die Polizei. Jahrelang hat man geglaubt, dass es nur um den einen Bösewicht geht und wenn man den ins Gefängnis bringt, dann sind die Probleme gelöst. Das wollen sie uns glauben machen, denn es gibt so viele Kriminelle im Anzug, die von diesem Business profitiert haben und die darauf hoffen, dass dieses Business niemals ein Ende findet. Und die gibt es immer noch. Sie sind immer noch da. Zumindest in der Regierung meines Landes."
Inwiefern ist die USA in den Drogen-Krieg Mexikos verwickelt? Und wie wird das in der Serie dargestellt?
"Der Fall Kiki Camarena ist extrem wichtig, um die Beziehung zwischen Mexiko und den USA und die Beteiligung der USA zu verstehen. Die USA hat viel zu diesem Business beigetragen und es ihm überhaupt ermöglicht, zu existieren, sie haben es gefördert. Und wie mit so vielen anderen Dingen auch, die die USA erschaffen haben, wussten sie auch bei diesem Business irgendwann nicht mehr, was sie damit tun sollten und haben ihm den Rücken zugekehrt. Diese Geschichte wiederholt sich immer wieder. Außerdem herrscht momentan die kriminellste Zeit überhaupt in meinem Heimatland. Die Gewalt ist gestiegen, die Statistiken sind unglaublich. Und diese Gewalt ernährt sich von dem Business, das die USA betreibt. Sie verkaufen die ganzen Waffen und Kugeln, die in diesem Drogenkrieg benutzt werden, den Mexiko vor zwölf Jahren begann. Diese zwölf Jahre voller Gewalt waren sehr profitabel für die Vereinigten Staaten. Was ich an der Serie mag, ist, dass sie aufhört, das Problem in einer Schwarz-Weiß-Denkweise darzustellen. Nach dem Motto 'Die Bösen fliehen, während die Guten sie fangen wollen' - so ist es nicht. Die DEA hat es einige Male vermasselt und das zeigt die Serie."
Wie viel wussten Sie selbst über den mexikanische Drogen-Krieg, bevor sie von dem Projekt erfahren haben?
"Ich wusste nicht viel darüber. Oder besser gesagt, ich denke, ich wusste, was die Produzenten wollten, das ich weiß. Ich kannte die Geschichte, die sie erzählen wollten und beim Recherchieren habe ich immer mehr interessante Details herausgefunden. Ich war 10 Jahre alt, als Felix gefasst wurde und habe damals in einem Mexiko gelebt, in dem mein Vater wollte, dass ich lebe. Erst in den Neunzigern habe ich die ganze Gewalt um mich herum überhaupt realisiert. Ich musste also die Achtziger noch einmal aus der Perspektive eines Erwachsenen erleben, vor allem bezüglich der Politik des Landes. Denn für mich waren die Achtziger das große Erdbeben oder die Weltmeisterschaft. Das waren meine Erinnerungen. Und dann bin ich wieder in diese Zeit zurückgekehrt und dachte mir 'Heilige Scheiße, das ist damals alles passiert'."
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet? Woran haben Sie sich bei der Darstellung von Felix Gallardo orientiert?
"Felix hat im Gefängnis sehr viel geschrieben. Ich habe es zwar gelesen, aber entschieden, dem keine Beachtung zu schenken, sondern eher darüber zu lesen, was andere über ihn gesagt haben, denn für mich ist das der genauste Weg, sich jemandem oder einer Figur anzunähern. Wenn ich dich frage, wer du bist, wirst du mich definitiv anlügen. Deswegen habe ich mich darauf konzentriert, was andere über ihn sagen und daher kommt auch die Darstellung von ihm als Unternehmer. Das war für mich sehr wichtig. Er war ein sehr diskreter Mann im Vergleich zu den anderen Drogenbossen, die alle sehr laut und extravagant waren. Dieser Mann hatte einfach einen Sinn fürs Geschäft und wusste, dass es besser ist, diskret zu handeln. Er war ein Unternehmer, der es geliebt hat, soziale Events zu besuchen und zu einer Gesellschaft zu gehören, zu der er eigentlich nicht passte. Während andere sich in ihrer Stadt ein Imperium aufgebaut haben, teilweise mit Mausoleum und allem drum und dran, hat Felix sich einfach nur ein Hotel gekauft. Er hatte andere Ambitionen. Das hat mir geholfen, eine Figur zu erschaffen, die sich von den anderen Drogenbossen unterscheidet."
Haben Sie die vorherigen Staffeln von „Narcos“ gesehen? Wie sind Sie danach an das Projekt herangegangen?
"Ich habe die erste Staffel gesehen, als sie herauskam, denn ich mag Wagner [ - Moura alias Pablo Escobar] sehr gerne. Ich habe mit ihm in 'Elysium' zusammengearbeitet und er ist ein fantastischer Schauspieler. Aber das war es auch erstmal. Dann habe ich den Anruf von Eric [Newman, Produzent] bekommen, der mich eingeladen hat, die Serie zu machen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich die Einladung annehmen soll, denn ich war mir nicht sicher, welche Auswirkungen das haben würde. Ich habe mich aber doch dazu entschieden, nachdem ich ein Gespräch mit Eric hatte, in dem er mir erklärte, dass er die Geschichte aus den richtigen Gründen erzählen will. Danach habe ich mir die komplette dritte Staffel an einem einzigen Sonntag angeschaut, zehn Stunden. Ich wollte sie mir so anschauen, wie ein echter Fan es machen würde. Dabei habe ich gemerkt, wie hervorragend die Schauspieler sind und wie interessant die dritte Staffel ist - irgendwie anders als die Erste.
Ich habe also die erste und die dritte Staffel gesehen und dann dachte ich mir, dass wir etwas anderes machen müssen. Wir müssen etwas besseres machen. Und ich denke, das haben wir geschafft. Zumindest mag ich die neue Staffel noch mehr, denn ich finde den Cast von „Narcos: Mexiko“ sehr speziell. Es gibt, glaube ich, keine einzige schlechte Figur. Jeder, den man in der Serie sieht, bringt etwas besonderes mit sich. Das ist sehr interessant zu sehen und ziemlich einzigartig. Dadurch, dass hauptsächlich mexikanische Darsteller engagiert wurden, wird eine Authentizität geschaffen, die sehr wichtig ist. Auch zum Beispiel, was die Sprache angeht. Selbst wenn man Spanisch spricht, wird man als Nicht-Mexikaner Untertitel brauchen, damit man es versteht, da es ein sehr spezielles Spanisch ist. Viele Wörter, die wir benutzen, sind sehr spezifisch für die Städte, aus denen die Figuren kommen. Außerdem finde ich, dass „Narcos: Mexiko“ auch visuell sehr ansprechend ist. Filmisch ist es viel ausgereifter. Ich mag, dass sie auch mal Risiken eingegangen sind. Sie hätten auch einfach den Weg der vorherigen Staffeln weitergehen können."
Sie haben schon anklingen lassen, dass Sie zunächst Zweifel hatten, dem Projekt wirklich beizutreten. Woher kamen diese Zweifel? Und was hat Sie am Ende dann doch überzeugt?
"Es ist extrem wichtig, wie man die Geschichte erzählt. Als bekannt gemacht wurde, dass ich Teil der Serie sein werde, habe ich so viele Nachrichten bekommen von Menschen, die mich gefragt haben, wieso ich an dieser Rechtfertigung der Narco-Welt mitwirke. Und ich dachte mir nur: „Wie könnt ihr alle jetzt schon eine Meinung dazu haben, wenn ihr die Serie noch gar nicht gesehen habt?“. Wenn man die Ereignisse im typischen Style einer Helden-Geschichte erzählen würde und alles um diesen einen Helden aufbauen würde, wäre es falsch. Diese Figuren können nicht als Helden dargestellt werden. Für mich war sehr wichtig zu wissen, dass die Serie nicht auf diese Weise erzählt wird. Es gibt natürlich viele Geschichte, bei denen man sich wünscht, so zu sein wie die Hauptperson. Aber diese Serie wird am Ende so düster, dass man sich denkt: „Verdammt, das ist verrückt!“.
Trotzdem kann man das Handeln der Figuren bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Es ist wichtig, die Protagonisten auch als Menschen und als dreidimensionale Figuren zu zeigen, sie dabei aber nicht zu glorifizieren. Diese Figuren machen viel falsch, aber sie sind auch Opfer. Sie arbeiten auch für jemand anderen. Das System bringt junge Männer in Mexiko dazu, Sicarios zu werden. Wieso reden wir nicht darüber? Sollen wir das etwa verschweigen? Ich lebe in einem Land, das eine große Zahl der Bewohner dazu bringt, diesen Organisationen beizutreten oder eben ohne richtige Papiere das Land zu verlassen. Sie versuchen nur zu überleben und der extremen Gewalt zu entgehen. Wenn das alles in der Serie in Betracht gezogen wird, bin ich glücklich, Teil davon zu sein. Das musste ich erst sicherstellen, bevor ich dazugestoßen bin."
Was haben Sie getan, um zu verhindern, dass ihre Figur nicht in diese stereotypische Misinterpretation von mexikanischen Figuren fällt, die Hollywood so gerne zeigt?
"Indem ich sichergestellt habe, dass ich meine Meinung äußern kann. Indem ich klargestellt habe, dass mit mir arbeiten bedeutet, mit mir zusammen zu arbeiten und nicht nur, mir zu sagen, was ich zu tun habe. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich mir jetzt aussuchen kann, wen ich darstelle. Es gab eine Zeit, als ich jünger war, in der ich eben dort gearbeitet habe, wo mir erlaubt wurde, zu arbeiten. Aber jetzt habe ich meine Firma, ich spiele am Theater, ich muss nicht unbedingt arbeiten. Ich habe genug Geld, um zu überleben und ein Leben zu führen, das mir genügt. Wenn ich ein neues Projekt eingehe, dann, weil mir erlaubt wird, einzubringen, an was ich glaube und wer ich bin. Ich sitze hier und beantworte die Fragen so, wie ich sie beantworten will und habe kein Skript, das mir verbietet, über irgendetwas zu reden. Ich kann ich sein. Das ist auch etwas, was dieses Unternehmen [Netflix, Anm.d.Red.] mit sich bringt. Dass Regisseure ihre Geschichte so erzählen können, wie sie es wollen. Das ist extrem wertvoll, wenn man aus diesem Studio-System kommt, in dem alles so streng ist."
In „Narcos: Mexiko“ nehmen Frauen eine stärkere Position ein. Woher kommt das?
"Es ist weniger eine Reaktion auf die Frauenbewegung. Es ist eher so, weil die Serie die Welt eben getreu wiederspiegelt. Frauen sind sehr wichtig in diesen Organisationen. Besonders, was die mexikanische Kultur angeht. Die Mutter ist eine sehr starke Persönlichkeit, auch in dem Machohaften Mexiko der achtziger Jahre. Wenn man sich anschaut, warum die meisten Drogenbosse gefasst wurden, merkt man, dass immer irgendeine Beziehung zu einer Frau damit zu tun hat. Die Serie stellt es getreu der Realität da, ohne es zu überziehen. Das finde ich so hervorragend, denn genau das Gegenteil passiert eben auch gerade und das ist sehr gefährlich. Wenn du eine Welt darstellen willst, die wirklich existiert hat, dann sollte das genau so passieren, wie es wirklich war."
Selina Jüngling
Ab dem 16. November gibt es „Narcos: Mexiko“ auf Netflix zu sehen. Einen Trailer könnt ihr euch im Video anschauen: