Von Vampire Weekend über Deftones bis Pulp und Justice: Der Auftakt zum Primavera Sound Festival 2024 zelebrierte die kleinen und großen Momente.
„Floating on a moment“, singt „Portishead“-Sängerin Beth Gibbons in einer der ersten Single Auskopplungen ihrer neuen Platte „Lives Outgrown“. Und ihr Konzert auf der gut gefüllten, aber nicht pickepackevollen Cupra-Stage war genau das, was ich schon seit vielen Jahren auf dem Primavera Sound Festival 2024 suche: pure Musik-Magie. Während andernorts „Vampire Weekend“ in ihrem ersten Auftritt seit vielen Jahren Hit an Hit schmettern, manchmal dabei aber vielleicht einen Ticken zu brav und lieb daherkommen und sich parallel schon Chino & Co. für ihren „Deftones“-Auftritt aufwärmen, sorgt Beth Gibbons mit ihrem Set um 23 Uhr bei leichtem Wind für Gänsehaut-Momente und einen wunderbaren Moment von Eskapismus und Entschleunigung im chaotischen Primavera Festival-Alltag.
"The National" sorgten für einen wunderbaren Primavera Ciuatat-Auftakt
Der begann übrigens schon mit den exzellenten "Primavera a la Ciutat-Konzerten am Montag, Dienstag und Mittwoch. Auch dort hätten die Kontraste kaum extremer sein können: Während "Les Savy Fav" einmal mehr Chaos und Anarchie zelebrierten, u.a. als Frontmann Tim Harrington zu „The Sweat Descends“ ins Publikum stürmte, den Zuschauer:innen die Bierbecher aus der Hand riss, sie auf den Boden entleerte und dann mit Anlauf eine „Bierrutsche“ simulierte, konnten sich „The National“ im pickepackevollen Kult-Club Razzmatazz auf ein echtes Heimspiel freuen. Das Set aus Klassikern und Songs ihren eher neuen Alben wurde zelebriert und endete standesgemäß mit viel Energie bei "Mr. November", viel Herzschmerz bei "About Today" und viel Stimmgewalt bei „Vanderlyle Crybaby Geeks“, das von der Band gemeinsam mit dem glücklichen Publikum zelebriert wurde. Ach ja und „Phoenix“ sorgten beim offiziellen Day-0, der auch gratis für alle lokalen Zuschauer:innen erreichbar war, für eine ekstatische Party inkl. Crowdsurfing und Baguette-Verkostung.
Trotz potenzieller Regen-Vorhersagen zeigte sich das Primavera Sound Barcelona zum offiziellen Auftakt dann auch wieder von seiner allerbesten Seite: Bei sonnigen Temperaturen legten Voxtrot auf der Plenitude-Stage direkt mit sympathischem Pop-Rock los. Das einzige Problem: Der Sound-Bleed des noch näherliegenden Boiler-Rooms ist deutlich hörbar, wenn man nicht ganz in der Nähe der Bühne steht. Das war schon in der Vergangenheit bei „ruhigeren“ Singer-Songwriter:innen das Problem. Die Chance, das Problem in diesem Jahr zu ändern, haben die Veranstalter:innen jedenfalls verpasst. Aber vielleicht regelt ja Keanu Reeves die Sache, wenn er am Freitag mit seiner Band Dogstar gegen Elektro-Klänge aus der Nachbarschaft „kämpfen“ muss.
Primavera Sound 2024 Barcelona: Diese Bands konnten an Tag 1 überzeugen
Bei Arab Strap auf der Cupra-Stage war der Sound weniger das Problem, als vielleicht die fehlende Energie: Das neue Album der Kult-Band ist wirklich stark, doch ihr Auftritt beim Primavera eher aus der Kategorie „solide“. Anders lief es hingegen bei Mannequin Pussy, die für das erste Highlight des Tages sorgten: Während die erste Hälfte ihres Sets noch eher in ruhigeren Punk-Rock-Gefilden verortet war, rotzte die Band in der 2. Hälfte dann einen Hit nach dem Nächsten raus und konnte das Publikum mit ihrer kompromisslosen Performance wirklich mitreißen. Als Nächstes folgte Blonde Redhead, von denen wir ehrlicherweise nur der Superhit „23“ ein Begriff war. Shame on me, denn das Trio aus Boston lieferte wirklich ein herausragendes Set - mit viel Spielfreude, tollen Melodien und einer stimmigen Show, die das Publikum auf Tanztemperatur brachte.
Zu Vampire Weekend und Beth Gibbons haben wir schon ein paar wohlwollende Worte verloren, weshalb wir uns direkt ins Mosh Pit bzw. Getümmel bei den Deftones gestürzt haben. Die Band um Chino Moreno war für uns eine der größten Überraschungen im Primavera-Lineup und versammelte vor der Amazon Music-Stage einen wirklich spannenden Querschnitt an jungen und älteren Fans. Und die wurden nicht enttäuscht: in 75 Minuten schmetterte die Bands einen Querschnitt aus der Bandgeschichte, um schließlich mit den Superhits ihres gefeierten zweiten Albums namens „Around the Fur“ aus dem Jahr 1997 zu enden. Schade war lediglich, dass „My Own Summer (Shove It)“ und „Be Quiet and Drive (Far Away)“ zwar für viel Stimmung, Mosh-Action und Mitgröl-Einlagen beim begeisterten Publikum sorgten, aber aufgrund von anhaltenden Sound-Problemen nicht annähernd den Druck entfalten konnten, wie der energetische Auftritt von Chino & Co. verdient hatten. Die Sound-Probleme auf der Amazon Music-Stage waren nicht die Einzigen zum Festival-Auftakt.
Last but not least holten wir uns nicht nur noch schnell „Common People“ und „Razzmatazz“ von den exzellenten Pulp ab, sondern tanzten auch noch etwas mit Justice durch die laue Barcelona-Nacht. Das französische Elektro-Duo war nicht nur verdammt laut und hatte verdammt viele Hits im Gepäck, sondern sorgte auch für eine der eindrucksvollsten Lightshows des bisherigen Primavera. Prädikat: äußerst sehenswert und richtig tanzbar. Mit Muskelkater in den Beinen und einer guten Portion Müdigkeit ging es mit dem Bus-Shuttle in Richtung Hotel, um neu aufzutanken und an Tag 2 wieder eine weitere Runde übers Gelände zu „schweben“.