Der neue Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" startet am 28. April 2022 in den Kinos. Im Interview sprach Regisseur Andreas Dresen über die Schwierigkeit, einen hoffnungsvollen Film über ein Foltergefängnis zu drehen. Von Robert Gruhne
Eigentlich wollte Andreas Dresen einen Film über Murat Kurnaz machen. Der Bremer alndete kurz nach dem 11. September 2001, mit 18 Jahren, im US-Foltergefängnis Guantanamo. Stattdessen ist es ein Film über Murats Mutter geworden. "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" erzählt die Geschichte, wie eine liebende Mutter mit aller Kraft für die Freilassung ihres Sohnes kämpft und sogar bis vor den Supreme Court nach Washington geht.
"Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush": Zwei Silberne Bären
Der Spielfilm läuft ab dem 28. April 2022 in den deutschen Kinos. Er ist die siebte gemeinsame Arbeit von Regisseur Andreas Dresen und Autorin Laila Stieler. Für ihr Drehbuch bekam sie auf der diesjährigen Berlinale einen Silbernen Bären. Auch Hauptdarstellerin Meltem Kaptan, die Rabiye Kurnaz spielt, wurde mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.
Der 1963 in Gera geborene Regisseur Andreas Dresen feierte 2018 mit seinem letzten Film "Gundermann" einen großen Erfolg. Schon da nahm er sich eine wahre Geschichte als Vorlage. Im Interview sprach er unter anderem darüber, welche Verantwortung damit einher geht, einen Film über reale Menschen zu drehen.
Interview mit Regisseur Andreas Dresen
TVMovie.de: Warum haben Sie sich entschieden, im Film aus der Perspektive von Rabiye zu erzählen und nicht die von Murat Kurnaz?
Andreas Dresen: Es begann damit, dass ich Murats Geschichte erzählen wollte. Ich habe mich oft mit ihm in Bremen getroffen. Allerdings: Murats Geschichte ist natürlich recht dystopisch. Das System Guantanamo ist sehr kafkaesk. Es greifen nicht mal die üblichen Spielregeln von Gefängnisdramen: Keine Ausbruchsmöglichkeiten, keine Hoffnung, nicht mal ein Urteil. Ich wusste einfach nicht, wie ich das dramaturgisch lösen kann. Ich kann ja nicht eine halbe Stunde Folterszenen zeigen. Zum Glück habe ich irgendwann Rabiye, Murats Mutter, kennengelernt. Sie hat mich sofort beeindruckt, weil sie so eine Lebenslust hat, so eine Lebendigkeit. Als ich an dem Abend von Bremen nach Hause gefahren bin, habe ich gedacht: Vielleicht ist das der bessere Ansatz.
Dadurch gerät die Figur des Murat Kurnaz in den Hintergrund und als Zuschauer:in ertappt man sich, dass man ihn anfangs verdächtig findet. War das eine bewusste Entscheidung? Offenbart das die Vorurteile, die man selbst hat?
Selbst Rabiye war sich ja nicht sicher. Murat hatte Kontakt in diese radikale Moschee in Bremen, hatte sich den Bart wachsen lassen, er ist ausgerechnet einen Monat nach 9/11 nach Pakistan gereist. Das alles ändert aber natürlich nichts daran, dass man einen Menschen nicht vorverurteilen sollte. All diese Dinge haben sich ja später in Luft aufgelöst. Aber natürlich war es für uns wichtig, diese Vorurteile, die alle hatten, aufzugreifen und zu widerlegen.
Wie haben Sie die Geschichte von Murat Kurnaz damals wahrgenommen?
Über die Medien. Und die sind in den meisten Fällen mit einer Vorverurteilung an das Thema rangegangen, ganz klar.
Zum Beispiel mit den Schlagzeilen vom „Bremer Taliban“.
So nannte die Boulevardpresse Murat, ja. Mich würde mal interessieren, wie Medien und Politik reagiert hätten, wenn der Mann in Guantanamo nicht Murat Kurnaz sondern Gerhard Müller geheißen hätte. Gerhard Müller hätte wahrscheinlich drei, vier Jahre weniger dort gesessen. Bei Murat gab es leider Vorurteile. Vermutlich war ich selbst anfangs auch nicht misstrauisch genug. Als Murat freikam und die ganze Dimension seiner Geschichte ans Tageslicht kam, war ich entsetzt, dass so etwas überhaupt möglich ist. Bis heute kämpft Murat mit den falschen Klischees von vor 20 Jahren.
Sie sind auch am Verfassungsgericht in Brandenburg tätig. Hat Ihnen das bei der Vorbereitung geholfen?
Indirekt. Wir beschäftigen uns am Verfassungsgericht in Brandenburg ja zum Glück nicht mit Guantanamo. Aber die Kenntnis dessen, was an Verfassungsgerichten überhaupt passiert, ist natürlich hilfreich gewesen. Dort werden die Grundfragen unseres demokratischen Gemeinwesens verhandelt. Deswegen ist die in unserem Film gezeigte Entscheidung des Supreme Courts auch so interessant, weil sie der amerikanischen Regierung ganz klar den Rechtsrahmen vorhält. Sie sagt ganz klar: Was ihr in Guantanamo tut, ist Unrecht. Dass es so eine Kontrollinstanz in der Demokratie gibt, ist schon toll. Auch wenn Politiker leider immer wieder Möglichkeiten finden, das zu unterlaufen.
Haben Sie lange gebraucht, um Rabiye Kurnaz und ihren Anwalt Bernhard Docke zu überzeugen, mitzumachen?
Das ging recht einfach. Ich hatte sie ja schon im Zusammenhang mit Murat kennengelernt. Als wir dann die Perspektive der Erzählung verändert haben, waren beide sehr offen und bereit.
Ist das für Sie als Filmemacher eine besondere Verantwortung, über Personen einen Film zu machen, die noch leben?
Da hat man eine große Verantwortung, weil wir ja auch ein Bild von ihnen in die Öffentlichkeit bringen. Natürlich lag uns nichts ferner als Rabiye, Bernhard oder Murat in irgendeiner Form zu beschädigen. Auf der anderen Seite muss man sich auch gewisse Freiheiten erlauben, weil wir natürlich einen Spielfilm herstellen. Ein Spielfilm verdichtet, er verändert auch, er erfindet. Man muss mit den realen Biografien dabei natürlich behutsam umgehen. Ich war furchtbar aufgeregt, als wir unseren Protagonisten den Film zum ersten Mal gezeigt haben – und dann umso glücklicher, als uns von Rabiye, Bernhard und Murat so viel Liebe und Herzlichkeit entgegenkam und sie den Film mochten.
Wie schwierig waren die Dreharbeiten?
Vergnügungssteuerpflichtig waren sie nicht, denn sie fanden während der Pandemie statt. Alles, was zum Drehen für mich auch dazugehört, fehlte: Soziale Kontakte pflegen, nach Drehschluss zusammensitzen, bei einem Bier quatschen. Meine Erfahrung ist, dass gerade bei solchen informellen Anlässen viele gute Ideen entstehen. Aber jeder musste abends brav allein auf sein Zimmer gehen. Auf der anderen Seite waren wir froh, dass wir überhaupt drehen durften.
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Was möchten Sie den Zuschauer:innen mitgeben?
Produktiven Zorn. Sie erfahren in dem Film Dinge, über die man zurecht wütend werden kann. Guantanamo ist ein furchtbares System, das aber unter demokratischen Verhältnissen in Amerika erfunden wurde. Ein System, das leider immer noch existiert. Wir zeigen gerne auf andere, zurecht auch, etwa auf Diktaturen. Aber wir sollten auch vor unserer eigenen Haustür kehren. Dass sich eine deutsche Regierung darauf beruft, dass ein in Bremen aufgewachsener junger Mann türkischer Staatsbürger ist und ihm deshalb die Hilfe verweigert, finde ich beschämend. Das meine ich mit Zorn. Produktiv wiederum ist, dass wir die Welt verändern können. Da zieht eine türkische Hausfrau aus Bremen-Hemelingen los und besiegt den amerikanischen Präsidenten. Wie toll! Wir müssen nicht verzweifelt vor den Abendnachrichten sitzen und uns angesichts des allgegenwärtigen Elends klein und machtlos fühlen. Das sind wir nicht. Die Verhältnisse, unter denen wir leben, sind von Menschen gemacht. Also sind sie auch von Menschen veränderbar.
Würden Sie sich auch politische Konsequenzen wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass die damals politisch Verantwortlichen – einer ist ja unser Bundespräsident – den Anstand haben, zu sagen: Das ist damals falsch gelaufen, es tut uns leid. Man mag unter dem Druck der damaligen Ereignisse solche unsäglichen Entscheidungen getroffen haben. Jeder Mensch macht Fehler und natürlich sei das auch Politikern zugestanden. Aber in dem Moment, wo man es besser weiß und erwiesen ist, da ist Unrecht geschehen, sollte man den Mut haben, zu seinen Fehlern zu stehen. Das wäre moralisch gesehen wenigstens ein erster Schritt. Eine Entschädigung für Murat fände ich außerdem mehr als angemessen. Damit ihm und seiner Familie, die alle durch die Geschehnisse traumatisiert sind, etwas Gerechtigkeit widerfährt.
Vielen Dank für das Gespräch.
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