Regie-Altmeister John Woo inszeniert zum ersten Mal einen Weihnachtsfilm – oder zumindest etwas in der Art. Warum „Silent Night“ zu den besten Action-Filmen des Jahres gehört, lest ihr in der Kritik.
Ein Mann (Joel Kinnaman) rennt, in Zeitlupe dargestellt, in einem Weihnachtspullover durch eine Gasse. Die Zuschauer:innen wissen nicht wieso, er scheint zwei Autos hinterher zu rennen, aus denen geschossen wird. Zwar schafft er es, sie einzuholen, doch ein Gangster schießt ihm in den Kehlkopf und lässt ihn blutend auf der Straße zurück. Zwar kann „Godlock“, wie die Figur laut der offiziellen Beschreibung heißt, gerettet werden, doch er schwört Rache an seinen Peinigern – wobei es hier nicht nur um ihn selbst geht.
„Silent Night“: Ein Film ohne Dialoge – zum Glück
Dadurch, dass sein Kehlkopf im wahrsten Sinne des Wortes zerschossen wurde, kann „Godlock“ nicht sprechen. „Silent Night“ nutzt diesen Aufhänger, um einen interessanten Weg zu gehen, denn es gibt keine Dialoge. Zwar hören die Zuschauer:innen hin und wieder Radiodurchsagen und natürlich die Geräusche der krachenden Action, aber viel mehr verlässt sich Regisseur John Woo auf seine Bilder. Das Konzept hatte ihn sofort interessiert, wie er in einem Roundtable-Interview mit uns verriet: „Schon im Drehbuch waren keine Dialoge, was mit von Anfang an gefiel. Dadurch wurde es ein herausfordernder Film für mich. Dazu gab es von vornherein fantastisches Drama und einige gute Action-Momente.“
Das Drama, auf das der 77-jährige Woo anspielt, findet vor allem in der ersten Hälfte des Films statt. Nach dem intensiven Auftakt sehen wir, wie sich die Hauptfigur und seine Frau Saya (Catalina Sandino Moreno) voneinander abschotten und das Trauma, durch das die Familie gehen muss, unterschiedlich bewältigen. Sowohl Kinnaman als auch Moreno spielen ihre Rollen glaubwürdig, ihr Schmerz ist stets spürbar – egal, wie sehr eine Partei diesen verstecken will. Subtil ist dabei nichts, aber das Gimmick des Films hilft, auch die krasse Melodramatik durchzustehen, so interessant ist die Idee.
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Generell sieht der durch seine Hongkong-Filme wie „Hard Boiled“, „The Killer“ oder „Bullet in the Head“ bekannt gewordene Woo manch andere US-Drehbücher kritisch: „In Hollywood versuchen die meisten Autor:innen, viele Dialoge zu benutzen, um Dinge zu erklären, wie sich Figuren fühlen und so den Zuschauer:innen sagen, was sie fühlen sollen. Das sind keine echten Filme. Echte Filme sollten viel Raum lassen und viel Platz, um die Zuschauer:innen das selbst herausfinden zu lassen, um sie mehr zum Denken anzuregen.“ In diesem Sinne ist „Silent Night“, offensichtlich, ein „echter Film“. Zwar werden die Emotionen auch hier nicht unbedingt fein säuberlich erarbeitet, sondern eher mit dem Vorschlaghammer. Aber man fiebert mit „Godlocke“ mit, wenn er sich auf seine Vendetta vorbereitet und man hasst den Gangster-Boss, wenn er eine Frau per Drogen gefügig macht. All die Vorarbeit kulminiert in den zweiten 45 Minuten in einem fantastischen Actionspektakel.
Dabei inszeniert Woo nichts, was man in den letzten Jahren als Action-Fan nicht auch an anderer Stelle in ähnlicher Form und Weise gesehen hat. Die „John Wick“-Reihe, „The Raid“ oder auch „Mission: Impossible“ – es gibt inzwischen einen ganzen Haufen moderner Filme, die durch ihre Stunt-Arbeit positiv hervorstechen. Und trotzdem schafft es „Silent Night“, dass die Zuschauer:innen am Ball bleiben. Weil die Shoot-Outs übersichtlich und spannend choreografiert sind, ohne viel offensichtlichen Einsatz von Computer-Effekten. Weil der One-Take, in dem sich „Godlock“ durch ein Haus prügelt und ballert, technisch beeindruckend ist. Und weil auch immer wieder kurz eingehalten und Luft geholt wird, damit das Schauspiel durchkommen kann: „Die ruhigen Momente sind wichtig. Die Zuschauer.innen konzentrieren sich viel mehr auf die Gesichter der Darsteller:innen. Man sieht den Figuren an, was sie fühlen und wie sie diese Emotionen ausdrücken.“ Das sorgt auch dafür, dass „Silent Night“, bei allem rumgeballere und Action-typischen aufbäumen, nachdem man schon drei Mal angeschossen wurde, nie zu pathetisch wirkt.
„Silent Night“: Fazit
Manch eine Person wird vielleicht durch das Konzept abgeschreckt werden. Und fairerweise muss man sagen, dass, bei allem guten Schauspiel, die erste Hälfte etwas knackiger hätte ausfallen können. Doch das ist nur ein kleiner Makel in einem ansonsten hervorragenden Action-Film, mit dem John Woo erneut zeigt, warum er ein Meister seines Faches ist.
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