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Serien

Netflix "Transatlantic": Ein Albtraum im Paradies | Interview mit Schöpferin Anna Winger

Seit einigen Tagen ist "Transatlantic" nun bei Netflix zu sehen, die neue Miniserie von Anna Winger. Wir sprachen mit ihr über das neue Projekt und seine Besonderheiten. 

"Transatlantic": "Albtraum im Paradies" | Interview mit Schöpferin Anna Winger
Anna Wingers neue Serie "Transatlantic" ist nun bei Netflix. Foto: Netflix

Gleißendes Sonnenlicht und zirpende Zikaden bei Tag, Tanz und Gelächter unter einem leuchtenden Firmament bei Nacht, verbotene Küsse, Momente der Leidenschaft, philosophische Diskussionen: Wir befinden uns in einer abgeschiedenen Villa am Rande der Stadt Marseille an der Côte d'Azur. Die Menschen, die an diesem schönen Ort zusammen gekommen sind, genießen ihr Leben in vollen Zügen, gehen ganz im Moment auf und denken nicht an morgen. Könnte man jedenfalls auf den ersten Blick meinen. Doch so ist es nicht. Sie schweben in Lebensgefahr, denn wir schreiben das Jahr 1940 und eine Vielzahl von ihnen steht auf der Liste der meistgesuchten Personen der Nationalsozialisten. 

In Europa tobt der Zweite Weltkrieg. Die Nazis haben Paris eingenommen und rücken immer weiter vor. Tausende, darunter auch viele Kunst- und Literaturschaffende, sind auf der Flucht. Ihnen versuchen der amerikanische Journalist Varian Fry und Mary Jayne Gold von der Organisation "Emergency Rescue Committee" zu helfen. Sie geben ihr Bestes, um sie mit Visa auszustatten und an ihren Verfolgern vorbei außer Landes zu schaffen. Bis es so weit ist, müssen die Flüchtenden allerdings in einer alten Villa verharren, heimatlos, aber dafür am Leben.

 

"Transatlantic"-Schöpferin Anna Winger im Interview

Von jenen Geschehnissen erzählt die neue Serie "Transatlantic" von "Unorthodox"-Schöpferin Anna Winger. Sie orientiert sich an der wahren Geschichte des "Emergency Rescue Commitees", das in den Jahren 1940/1941 mehr als 2.000 Menschen, so unter anderem auch Hannah Arendt und Max Ernst, aus Frankreich retten konnte. 

"Transatlantic"-Schöpferin über Staffel 2: "Fortsetzung mit einem anderen Ansatz?!"
Parties und gute Laune: In einer Zweiter Weltkriegs-Serie würde man wohl anderes erwarten. Doch genau das macht "Transatlantic" so besonders. Foto: Anika Molnar

"Transatlantic" ist ganz anders als man es von einer Zweiter Weltkriegs-Verfilmung erwarten würde. Das hat auch einen Grund, wie uns Anna Winger im TVMovie Online-Interview verriet. Wir sprachen mit der Autorin und Produzentin über ihre persönliche Verbundenheit zu dem neuen Projekt und darüber, was sie bewogen hat, es umzusetzen und auf diese Weise. 

TVMovie.de: Was hat Sie inspiriert, den Stoff als Serie umzusetzen?  
Anna Winger: Ich liebe die Geschichte, weil sie auch das Leben und das am Leben sein feiert. Humor, Romantik, Gemeinschaft, Kreativität – all das bringt Licht in eine sehr dunkle Situation. Ich habe das Script während des Corona-Lockdowns geschrieben. Wir können viel davon lernen, dass Menschen sich gegenseitig geholfen haben, um schwierige Zeiten in der Vergangenheit durchzustehen. Das finde ich inspirierend!

Ich habe auch viel über die Filme nachgedacht, die zur damaligen Zeit entstanden sind, Filme wie „Casablanca“ oder wie „Sein oder Nichtsein“. Diese komödiantischen, romantischen Filme, die all die Werkzeuge ihres Genres nutzen, um mit dem umzugehen, was gerade im echten Leben los war, entstanden Ende der Dreißiger, Anfang der Vierziger Jahre. Viele von ihnen wurden von deutschen Immigranten in Hollywood gedreht, die ins Exil geflüchtet sind und mit dem Blick auf das, was zu der Zeit in Europa passiert ist, diese Geschichten erdachten, um so ihre eigene Angst zu verarbeiten. Alle diese Filme sind in Studios gedreht worden.

Während ich schrieb, war unklar, wann und ob wir diese Geschichte würden verfilmen können, ob es überhaupt jemals wieder möglich sein würde, an Originalschauplätzen im Ausland zu drehen. Dann tatsächlich vor Ort in Südfrankreich zu sein und zu wissen, dass sich unsere Mühen auszahlen, war wie ein Geschenk. Es hat sich angefühlt, als würden wir einen der Filme aus der Hollywood-Ära nehmen, aber ihn wie im Jahr 2022 und außerhalb eines Studios zu drehen. Wir wollten uns diesen Filmen visuell und stilistisch annähern, auch, was den Humor betrifft und den Genre-Mix.

Transatlantic von Anna Winger
Das "Emergency Rescue Committee" und seine Unterstützer:innen. Foto: Anika Molnar

“Transatlantic” ist anders als andere Zweiter Weltkrieg-Verfilmungen, die normalerweise ja recht düster sind. Stattdessen scheint immer die Sonne, es ist farbenfroh, hier und da sogar voller Humor. Es passieren viele schöne Dinge, doch dann gibt es auf der anderen Seite so viele schreckliche Momente. Wieso haben Sie sich für diese Umsetzung entschieden?

Ich habe mich oft gefragt, wie es ist, während des Zweiten Weltkriegs an einem Ort wie Marseille zu sein, in einem ungewöhnlichen Umfeld, den die handelnden Figuren sonst nur in ihrem Urlaub besucht hätten. An schönen Sommertagen, an denen alles wundervoll ist und an denen du denkst, dies sei das Paradies.

Wenn sich Filme um eine schlimme Zeit drehen, dann ist es meistens darin dunkel, oft nachts, häufig regnet es. Aber so passieren schlimme Dinge nicht nur. Ich habe den 11. September 2001 in New York erlebt. Es war ein traumhafter sonniger Herbsttag und ich habe mit meinen Nachbarn auf der Fifth Avenue zusammengesessen, als die Flugzeuge ins World Trade Center flogen.

Etwas an diesem ‚Albtraum im Paradies‘ finde ich unheimlich und ich glaube, das ist auch für das Publikum interessant, weil jeder von uns solche Momente auf die ein oder andere Weise schon erlebt hat. Momente, in denen man das Gefühl hat, es wirkt alles so schön, aber das ist es nicht. Damit wollte ich arbeiten – entgegen dem typischen Zweiter Weltkriegs-Drama. Jede Szene wurde von dem brillanten Kameramann Wolfgang Thaler und seinem Sohn Sebastian Thaler eingefangen. Wir hatten diese wunderschönen Locations, viele davon Orginalschauplätze. All diese Dunkelheit und all dieses Licht kommt an einem Ort zusammen – in Marseille. Und wir wollten die Zuschauer:innen ebenfalls an diesen Ort bringen und sie zum Nachdenken anregen.

„Transatlantic“ ist eine sehr internationale Serie. Was waren die Besonderheiten, ja, vielleicht auch die Schwierigkeiten dabei?

Der Casting-Prozess war schwierig, einfach, weil wir so viele unterschiedliche und besondere Figuren in unterschiedlichen Ländern suchen mussten. Aber wir hatten die besten Casting Directors! Nicht nur sie haben wundervoll zusammengearbeitet, sondern auch die Darsteller:innen. Unsere Crew und Schauspieler:innen kamen aus Deutschland, der Schweiz, den USA, England, Österreich, Israel, Nigeria, Benin. Ein richtiger Schmelztiegel. Wir haben vier, fünf Monate zusammen in Marseille gewohnt und ein richtiges Ensemble gebildet. Das hat viel von dem widergespiegelt, worum es in der Geschichte auch geht – Menschen, die sich sonst vermutlich nie getroffen hätten, kommen zusammen und es entsteht eine Magie. Das hat es für uns zu etwas Besonderem gemacht.

"Transatlantic"-Schöpferin Anna Winger (l.) im Gespräch
"Transatlantic"-Schöpferin Anna Winger (l.) im Gespräch Foto: Anika Molnar

Sie haben sich dazu entschieden, keinen Film, sondern eine Serie aus „Transatlantic“ zu machen. Warum? Und wieso ist es nur eine Miniserie geworden? 

Für einen Film war es zu viel Material. Ich hatte das Gefühl, sonst hätte ich die Geschichte nicht erzählen können, gleichzeitig habe ich mich für eine limitierte Miniserie mit sieben Folgen entschieden. Bestimmt könnte man eine Fortsetzung machen mit einem anderen Ansatz. Aber im Fall von „Transatlantic“ gab es ein klares Ende: Varian wurde auf eine Mission geschickt und die Mission ist schließlich vorbei. 

Natürlich fiebert man als Zuschauer:in wie bei anderen Serien mit den Figuren mit, fragt sich, ob sie es lebend rausschaffen, wer wen vielleicht nochmal wiedersieht, mit wem zusammenkommt oder heiratet. Doch "Transatlantic" beruht auf einer wahren Geschichte, das Schicksal vieler der Menschen, um die sich die Serie dreht, lässt sich ergooglen…

Wir haben uns bei "Transatlantic" zwar an die historischen Begebenheiten gehalten. Aber die vielen individuellen Interpretationen haben uns inspiriert, uns auch kreativen Freiraum zu nehmen.

Auch wenn diese Geschichte weitgehend unbekannt ist, gab es so viel Material, da viele der Menschen Schriftsteller:innen waren, die Bücher und Stücke geschrieben haben, die wir für die Recherche verwendet haben. Und dann gab es noch das Buch „Flight Portfolio“ von Julie Orringer, das 2019 rauskam. Es war ein fiktionaler Ansatz der Geschichte, auch was die romantischen Verbindungen angeht. Also viele Lagen von Fiktion, die auf der wahren Geschichte aufbauen.

Transatlantic: Mary Jayne Gold, Varian Fry, Thomas Lovegrove
"Transatlantic": Mary Jayne Gold, Varian Fry und Thomas Lovegrove nutzen eine verlassene Villa am Rande Marseilles für ihre Pläne. Foto: Anika Molnar

Sie kannten die Geschichte von Varian Fry schon lange vor dem Projekt...

Ja, mein Vater hat mir von ihm erzählt. Er kannte einige Menschen in der Geschichte wie etwa Albert Hirschman oder Lisa Fittko, als sie später in den USA lebten. Er erzählte mir davon, weil es in Berlin [wo ich inzwischen wohne] eine Varian Fry-Straße gibt.

Hatten Sie das Gefühl, es macht Ihnen nochmal mehr Druck?

Naja, ich habe immer das Gefühl, dass ich einen guten Job machen muss (lacht). Aber ja, natürlich wollte ich respektieren, was die Menschen damals in Marseille erlebt und geschafft haben. Die Menschen aus der Geschichte sind heute nicht mehr am Leben, aber ihre Nachkommen sind es. Die Zeitzeugen, die diese Erfahrungen gemacht haben, sterben langsam aus. Also ist es die Aufgabe der nachfolgenden Generation, daran zu erinnern, was geschehen ist. Und meine Hoffnung ist, dass die Geschichte von Varian Fry durch Netflix sehr viele Menschen erreicht.

Sie haben einen großen Netflix-Deal über die kommenden Jahre abgeschlossen. An welchem Projekt arbeiten Sie als Nächstes? Wird es wieder ein interkulturelles?

Ja (lacht). Ich kann noch nichts verraten. Aber ich habe meine eigene Produktionsfirma Airlift in Berlin und alles, was wir machen, ist international und interkulturell.

Dann dürfen wir also gespannt sein! Vielen Dank für das Gespräch!

"Transatlantic" ist seit dem 7. April bei Netflix verfügbar.

 

 

 

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