Seit 21 Jahren ist Rudi Cerne das Gesicht von "Aktenzeichen XY". Im Interview spricht der Moderator über die schwierige Entscheidung für die Sendung und seine Zukunftspläne.
1967 war Eduard Zimmermann mit seiner Sendung "Aktenzeichen XY" im TV zu sehen, auch heute noch strahlt das ZDF das Format, in dem Verbrechen mithilfe der Öffentlichkeit aufgeklärt werden sollen, aus. Seit 2002 ist es Rudi Cerne, der durch die Sendung führt und Ermittlerinnen und Ermittler im Studio begrüßt.
Auch heute, am 25. Oktober, ist die Reihe wieder im ZDF zu sehen - und zwar in Form einer Spezialfolge."In Aktenzeichen XY...Vermisst" werden rätselhafte Vermisstenfälle thematisiert, darunter zum Beispiel das mysteriöse Verschwinden von Monika Liebl im Jahr 2007. Kurz danach wurde von einem Suizid ausgegangen, doch durch einen anonymen Tipp wurde der Fall 2018 noch einmal neu aufgerollt. Jetzt hofft die Polizei auf neue Infos.
"TV Movie Online" hat mit Rudi Cerne über die Anfänge der Sendung, die Auswahl der Fälle und seine Pläne für "Aktenzeichen XY" gesprochen.
TV Movie Online: Sie sind angefangen als Profisportler und Sport-Moderator, seit vielen Jahren machen sie nun auch noch „Aktenzeichen XY“. Hätten Sie damals gedacht, dass Sie mal eine Sendung zum Thema True Crime moderieren werden?
Rudi Cerne: Niemals. Viele Zufälle haben mein Leben bestimmt und einer davon war sicherlich die Anfrage von „Aktenzeichen XY“. Es fing schon mit meiner Arbeit als Sportjournalist an. Ich bin dazu gekommen, weil ich damals viel mit bekannten Menschen aus dem Sport zu tun hatte. Addi Furler hat mich dann auf die Idee gebracht und gesagt: ‚Überlegen Sie es sich, sie sind eloquent. Wäre der Reporterjob nicht etwas für Sie?‘ Dann habe ich zuerst in meinen Sport, Eiskunstlaufen, kommentiert und habe dann ziemlich schnell die Rolle als Reporter übernommen. Wolf-Dieter Poschmann, ebenfalls ehemaliger Leistungssportler, hat mich zum ZDF geholt. Und dann kam der unverhoffte Anruf von Hans Janke, ehemaliger ZDF-Fernsehfilmchef, mit dem Angebot „Aktenzeichen XY“ zu moderieren.
Rudi Cerne: "Alles, was wir abbilden, entspricht der Wahrheit"
TV Movie Online: Haben Sie lange überlegt?
Rudi Cerne: Sehr lange, weil schon klar war, dass ich, wenn ich die Richtung einschlage, nicht nach einem Jahr wieder meine Meinung ändern kann. Zudem stand die Sendung damals unter intensiver Beobachtung, weil die Quoten rückläufig waren und sogar die Einstellung der Sendung ein Thema war. Wenn das während meiner Zeit geschehen wäre, wäre das nicht unbedingt förderlich für meine weitere Laufbahn gewesen, aber nach reiflicher Überlegung stand der Entschluss fest: Ich übernehme das – mit Haut und Haaren. Das ist jetzt 21 Jahre her.
TV Movie Online: Sie haben im Interview mit dem Tagesspiegel mal erklärt, dass der Job für sie mehr wert sei als eine Goldmedaille. Warum empfinden Sie das so?
Rudi Cerne: Zunächst einmal ist es eine Sendung mit hoher Relevanz. Der Bildschirm wird ganz im Sinne des Erfinders, Eduard Zimmermann, zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt. Alles, was wir abbilden, entspricht der Wahrheit. Da ist nichts konstruiert. Und für mich ganz persönlich ist es auch eine Beständigkeit. Als Leistungssportler erreichst du in meiner Sportart, in der es sehr auf Schnellkraft ankommt, mit 25 Jahren deinen Zenit. Dass ich diese Sendung übernehmen durfte, war eine enorme Auszeichnung und ein Vertrauensbeweis. Obwohl wir uns im Kern treu geblieben sind, arbeiten wir auch stetig weiter an uns, egal ob das die Studio-Regie oder die Darstellung und die Umsetzung der Filme betrifft.
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TV Movie Online: Wie haben sich die sozialen Medien auf die Sendung ausgewirkt?
Rudi Cerne: Die sozialen Medien sind für uns eine Unterstützung und keine Konkurrenz, das läuft parallel nebeneinander. Oft wird dort auf unsere Sendung eingegangen und im Prinzip auch Werbung für uns gemacht. Und das ist wichtig. Je mehr Menschen zuschauen, desto größer ist die Chance, einen Fall aufzuklären.
TV Movie Online: Sehen Sie es kritisch, dass durch Social Media eine Art Voyeurismus für echte Kriminalfälle entsteht?
Rudi Cerne: Da sind wir wieder bei dem Thema, dass die Realität abgebildet wird. Man kann sich oft gar nicht vorstellen, was mitunter wirklich passiert. Wenn ein Täter oder eine Täterin ein Opfer beispielsweise so mit Messerstichen traktiert, dass die Person buchstäblich übertötet wird, ihr also mehr Schaden zugefügt wird, als nötig gewesen wäre, um ein Menschenleben auszulöschen, dann stecken da große Emotionen hinter und das ist sehr schaurig. Das bilden wir natürlich nicht ab. Aber allein die Vorstellung reicht schon aus, um die Emotionen der Menschen zu erreichen.
Rudi Cerne über "Aktenzeichen XY": "Ich habe ein dickes Fell"
TV Movie Online: Wie wählen Sie und das Team die Fälle aus, die in der Sendung vorgestellt werden? Gibt es spezielle Kriterien?
Rudi Cerne: Es muss sich um ein Kapitaldelikt handeln, also um einen Fall von außerordentlicher Schwere. Das ist zum Beispiel Mord, bewaffneter Raubüberfall oder Vergewaltigung. Die allgemeine Vorgehensweise ist so, dass die Polizei zu dem Schluss kommt: ‚Wir kommen nicht mehr weiter, wir brauchen die breite Öffentlichkeit. Vielleicht erreichen wir irgendjemanden, ein Mitwisser oder eine Mitwisserin, die uns etwas sagen kann.‘ Aber es ist natürlich nicht so, dass die Kolleg:innen Däumchen drehen und warten, bis das Telefon klingelt, sondern wir gehen auch an Altfälle heran. So gelingt es auch immer wieder, Fälle über „Aktenzeichen XY“ aufzulösen. Wie jetzt zuletzt beim sogenannten Karnevals-Fall von Köln. Der ist nach 35 Jahren aufgeklärt worden, weil ein Freund aufgrund der Ausstrahlung sensibilisiert wurde und zur Polizei gegangen ist.
TV Movie Online: Was passiert, wenn jemand wegen der Sendung einen konkreten Hinweis gibt oder einen Verdacht äußert?
Rudi Cerne: Dann wird dem Hinweis nachgegangen und im Umfeld recherchiert. Kann es überhaupt sein, dass die genannte Person dafür infrage kommt? Es ist also nicht so, dass ein Name genannt wird, und die Polizei fährt mit Blaulicht los und dann klicken die Handschellen. Davon ist man weit entfernt. Mit solchen Dingen muss man ganz behutsam umgehen.
TV Movie Online: Sie stehen schon lange für Aktenzeichen XY vor der Kamera, aber sicherlich gibt es Fälle, die einem trotzdem sehr nahe gehen. Wie schalten Sie nach der Sendung ab? Und haben Sie vielleicht sogar bestimmte Rituale?
Rudi Cerne: Ich frage mich das selbst immer. Ich habe kein bestimmtes Ritual. Aber wenn ich eine Livesendung moderiere, ist der Adrenalinspiegel natürlich etwas höher. Die Sendung ist um 21:45 Uhr zu Ende. Dann mache ich nicht um 23 Uhr das Licht aus, da brauche ich schon eine Weile. Aber ich halte es da mit den Ermittlerinnen und Ermittlern, die mir mit auf den Weg gegeben haben, das alles nicht zu nah an mich herankommen zu lassen. Und ich glaube, das gelingt mir ganz gut. Ich habe ein dickes Fell und kann ganz gut abschalten.
Rudi Cerne hat keine Abschieds-Pläne
TV Movie Online: Was müsste passieren, dass Sie sagen: Diese Sendung ist nichts mehr für mich?
Rudi Cerne: Ich habe eine gute Kondition, körperlich wie auch geistig. In meinem Kopf funktioniert alles noch reibungslos wie vor 20 Jahren, und solange das alles noch passt und ich keine Aussetzer habe, bin ich mit Haut und Haaren dabei.
TV Movie Online: Den Podcast „Aktenzeichen XY... Unvergessene Verbrechen“ gibt es jetzt rund ein Jahr. Was ist ihr Fazit? Was gibt ihnen die Arbeit daran, was die Sendung vielleicht nicht leisten kann?
Rudi Cerne: Zunächst einmal bin ich sehr erfreut über die Resonanz. Wir haben viele Zuhörerinnen und Zuhörer, und gerade junge Frauen sind zahlenmäßig überdurchschnittlich dabei. Wir sind nicht in ein zeitliches Korsett gedrängt. Wir müssen nicht – wie bei „Aktenzeichen XY“ – nach 90 Minuten aufhören, sondern wir können es auch mal etwas länger laufen lassen. Das macht die Arbeit so spannend. Und man hört nur und das deutlich intensiver, als wenn man noch ein Bild dazu hätte.
TV Movie Online: Im Podcast sprechen Sie auch über das Justizsystem in Deutschland. Nicht selten werden in der Öffentlichkeit Entscheidungen der Justiz kritisiert. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Rudi Cerne: Wir leben in einem Rechtsstaat. Wir hatten unlängst auch einen Fall, bei dem viele gedacht haben: 'Der ist aber gut davongekommen'. Aber wenn die ganze Bandbreite des Gesetzes ausgeschöpft ist, dann muss man am Ende zu einem bestimmten Urteil kommen. Dafür gibt es Vorsitzende, dafür gibt es die Kammer und alle wägen ab und treffen am Ende ein Urteil.
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