Mit "Far Cry 5" verpasst Ubisoft seiner legendären Shooter-Reihe den bisher seriösesten Anstrich: Warum das Kult-Setting dennoch unfassbar viel Spaß und Shooter-Lust verbreitet, verraten wir im TVMovie.de-Test auf der PS4 Pro!
von David Rams
Auf der idyllischen Fahrt zu einem Außenposten der religiösen Fanatiker, die in "Far Cry 5" ihr Unwesen treiben, sehe ich einen hilflosen Einheimischen am Straßenrand, der von zwei Kult-Mitgliedern festgehalten wird. Ich halte an, schicke meinen mutigen Vierbeiner "Boomer" vor, der aus einem der religiösen Spinner Kleinholz macht, während mein Sniper-Gewehr dessen verdutzten Kollegen dem Rest gibt. Als die Lage entspannt und die befreite Geisel mir gerade einen kleinen Tipp für ein verstecktes Lager geben will, schießt aus den dichten Wäldern am Straßenrand ein Bison hervor, der das Gefährt am Straßenrand quasi wie einen Gummiball weg rammt. Boomer bellt und dreht völlig durch, ich hole schwere Geschütze raus, während auf der anderen Straßenseite ein vollgeladener Kultisten-Truck direkt auf mich zusteuert. Willkommen zu Hope County, Montana. Willkommen zu Far Cry 5.
Zum brillanten Einstieg in die Welt von Joseph Seed und seiner korrupten Sipp- und Anhängerschaft haben wir in der Preview zu "Far Cry 5" schon einiges geschrieben. Nachdem man das Setting nach dem einstündigen Intro soweit verinnerlicht hat, eröffnet sich das fiktive "Hope County" in Montana danach in seiner vollen Pracht. Wie von den "Far Cry"-Vorgängern und anderen Open World Titeln gewohnt, wird dem Spieler komplett freigestellt, wie er das Spiel angehen möchte. "Hope County" ist dabei in drei große Bereiche unterteilt, die jeder für sich einem Seed-Abkömmling unterstellt sind. Während sich im Süden der „Inquisitor“ John Seed tummelt, macht man im Osten Bekanntschaft mit der durchgeknallten Faith Seed (und ihrem betörenden Drogen-Cocktail) während man im Norden auf den martialischen Soldaten Jacob Seed trifft.
"Far Cry 5": Widerstand macht Spaß | Motivierender Fortschritt
Nach dem Anspielen der Preview-Version war meine größte Neugier und gleichzeitig größte Angst davor, wie es den Machern von „Far Cry 5“ gelingen könnte, die Langzeitmotivation hoch zu halten. Dabei lebt das Spiel von so genannten "Widerstands-Punkten", die wir nicht nur für Haupt- und Nebenmissionen erhalten, sondern bspw. auch beim Befreien von Geiseln, töten von VIP-Kultisten oder der wahllosen Zerstörung von Kult-Eigentum. Neue Gebiete erschließen wir einfach, in dem wir sie durchfahren (oder durchfliegen). Von Beginn an gibt es neben den Story-Missionen jede Menge zu tun in Hope County: "Prepper"-Verstecke wollen entdeckt und gelootet werden, ständig treffen wir auf NPCs in der Wildnis oder am Straßenrand, die uns nützliche Tipps zu Verstecken geben oder selbst eine Mission anbieten.
Durch alle Aktivitäten füllt sich das Widerstands-Meter bis es schließlich einen Punkt erreicht, in dem der jeweilige Seed-Sprössling sich selbst genötigt sieht, die Dinge in die Hand zu nehmen. Zwar mögen die forcierten Events einigen Spielern etwas aufstoßen, doch gerade die meist richtig grandios gescripteten (Ausbruchs-)Sequenzen geben der angespannten Atmosphäre in Hope County noch einmal einen richtigen Pusch! Generell wirkt das System ausgeklügelt und lässt den Spielern dennoch jegliche Freiheit. Für das Abschließen von Missionen bekommen wir außerdem Fertigkeitspunkte gutgeschrieben, die Spieler auf insgesamt 50 verschiedene Fertigkeiten verteilen können, die allesamt unterschiedlich viel Ressourcen benötigen. Ähnlich wie das Trophäen-Sammeln im PSN gibt es auch bei Far Cry die Möglichkeit zusätzliche Fertigkeitspunkte bspw. für das Jagen von zwei Grizzly Bären bzw. das Angeln eines seltenen Fischs zu erhalten. Eine zusätzliche Motivation um Hope County wirklich in der Gesamtheit zu erkunden.
"Far Cry 5": Auch ohne Koop nicht einsam | NPC-Madness
Zwar verfügt "Far Cry 5" über einen Koop-Modus, in dem ärgerlicherweise nur der Host-Spieler fortschreiten kann, doch selbst im Solo-Modus ist man nur selten alleine in Montana unterwegs: Denn insgesamt neun KI-Gefährten können wir freischalten und per Knopfdruck im Kampf einsetzen. Dabei spielen sich Vierbeiner "Boomer" und der pomadige Aggro-Bär "Cheeseburger" natürlich etwas anders als eine Scharfschützin bzw. ein Agrarpilot, der auf Kultisten netterweise gezielt Bomben abwirft. Daneben gibt es allerlei weitere Kampf-Kumpanen, die wir meist nach erfolgreichen Missionen freischalten und die uns im Kampf teilweise nette „Buffs“ verleihen.
Insgesamt sind die NPCs eine große Hilfe im Kampf gegen Joseph Seed & Co., auch wenn immer wieder böse Bugs für ein großes Fragezeichen beim Spielen sorgen. Kommt man auf die blöde Idee seinen Gefährten möglicherweise fahren zu lassen, um bspw. die Standkanone an einem Truck zu betätigen, landet man evtl. schneller im virtuellen Graben als man auf das Waffen-Podest gewechselt ist. Füllt sich das Widerstands-Meter weiter, schicken die jeweiligen Gebiets-Warlords immer mehr Truppen Richtung Spieler, was auch die eigenen NPCs immer unberechenbarer macht. Einfache „Ich hole mir mal schnell meine nächste Mission ab“-Aufgaben werden plötzlich zur Geduldssache, weil ständig irgendjemand den Quest-NPC attackiert, ablenkt usw.
"Far Cry 5": Story mit Licht und Schatten | Prachtvolle Kulisse
So gelungen der eigentliche Story-Fortschritt auch ist, so hätte die starke Prämisse von "Far Cry 5" vielleicht noch ein wenig Feinschliff vertragen können, um den Spieler komplett in den Bann zu ziehen. Zwar holen die Entwickler gekonnt viele (Redneck-)Klischees aus der Mottenkiste und ziehen Hope County und seine Bewohner gekonnt durch den Kakao, doch die eigentlichen Widersacher bleiben ein wenig zu blass. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir wegen der Open World-Struktur sehr lange nur sehr wenig von Jacob, John, Faith und vor allem Joseph Seed zu sehen bekommen.
Zu sehen gibt es in "Hope County" allerdings jede Menge: Das Spiel gehört wohl zu den schönsten Open World-Shootern der vergangenen Jahre. Die dichte Vegetation und Tierwelt in Hope County ist einfach eine Pracht. Die Lichtkulisse ist besonders im HDR-Modus auf der PS4 Pro oder am PC absolut umwerfend. Ganz egal, ob man zu Fuß, im Auto, per Flugzeug oder Helikopter unterwegs ist: Far Cry 5 sieht (trotz Pop-Ins auf der PS4 Pro) einfach grandios gut aus!
Neben der umfangreichen, knapp 25-30 stündigen Kampagne, bietet "Far Cry" fleißigen Zockern auch den Arcade-Modus, der dank Map-Baukasten wohl erst in den kommenden Wochen und Monaten so richtig beurteilt werden kann. Es gibt jedenfalls auch nach dem Aufmischen des "Seed"-Clans viel Abwechslung und Content in den Weiten von Montana.
Fazit
Es ist logisch, aber auch mühselig "Far Cry 5" nonstop mit den Vorgängern zu vergleichen: Insgesamt gelingt Ubisoft ein richtig spaßiges Open-World-Abenteuer mit jeder Menge Wahnsinn, motivierenden Missionen, einer fantastischen Präsentation und einer spannenden Prämisse. Dass es aus dem Setting viel mehr rauszuholen war, dass NPCs und Bugs manchmal ziemlich auf die Nerven gehen und dass die Bösewichter etwas blass bleiben, verkraftet man tatsächlich, weil das Gesamtpaket einfach zu überzeugen weiß: Selten hatte ich so viel Spaß und spontanen Wahnsinn erlebt, wie in meinen Ausflügen in „Hope County“. Deshalb kann man für „Far Cry 5“ eine unbedingte Kaufempfehlung ausstellen, gerade für Fans von GTA, Watch Dogs und natürlich Far Cry.
Far Cry 5 erscheint am 27. März 2018 auf PS4, Xbox One und PC