Robinson Crusoe á la Dafoe: In "Inside" von Vasilis Katsoupis gibt Ausnahmedarsteller Willem Dafoe eine One-Man-Show der besonderen Art ab. Im Rahmen der Berlinale 2023 konnten wir mit dem Hollywood-Star über Kunst, Isolation und fremde Träume sprechen.
In „Der Leuchtturm“ von Robert Eggers hatte Willem Dafoe noch seinen Hollywood-Kollegen Robert Pattinson an seiner Seite, bevor der Wahnsinn, über die beiden hineinbrach. In „Inside“ ist der 67-jährige Ausnahmedarsteller ebenfalls isoliert: Doch diesmal sind seine einzigen „Ansprechpartner“ die kargen Wände und jene bedeutenden Kunstwerke, die er eigentlich aus dem Appartement stehlen sollte. Es ist einmal mehr eine absolute Paraderolle für Dafoe, der in seiner beeindruckenden Schauspiel-Vita beinahe jeder Figur einen ganz individuellen Stempel aufdrücken konnte. Egal, ob als Jesus in „Die letzte Versuchung Christi“, „Norman Osborn“ in „Spider-Man“ oder jetzt eben als „Nemo“ in "Inside", dem kammerspielartigen Art-Drama des griechischen Regisseurs Vasilis Katsoupis, der mit dem Film sein beeindruckendes Spielfilm-Debüt feiert.
Wir konnten einen gut gelaunten Willem Dafoe im Rahmen der Berlinale zur Weltpremiere von „Inside“ sprechen. Im Interview verriet er uns nicht nur, wie er sein eigenes Verhältnis zur Kunst sieht, sondern auch, warum er sich selbst nie vorstellen konnte, Regie zu führen. Das komplette Interview lest ihr hier!
TVMovie.de: Die Idee, in einem Raum mit eindrucksvollen Kunstwerken eingesperrt zu sein: Ist das ein Traum oder ein Alptraum?
Willem Dafoe: „Beides. Wenn man ein Darsteller ist und es geht um die Rolle, dann macht das natürlich Spaß, weil es viel zu tun gibt. Die Ausgangslage ist spannend. Wir haben mit einem Drehbuch gearbeitet, das sehr minimalistisch ist. Das bedeutet, dass wir beim Dreh viel weiterentwickeln mussten. Außerdem war es aufregend den Film chronologisch drehen zu können, weil es einen sehr stark in der Gegenwart verankert. Wenn man nicht chronologisch dreht, muss man natürlich im Kopf haben, was davor und danach passiert ist bzw. passieren wird und das kann einen wiederum aus dem ‚jetzt‘ herausreißen. Jedes Szenario im Film ist wie eine Lösung für ein Problem. Es kreiert einen gewissen Rhythmus und der trägt einen dann. Das ist der Antrieb. Man spürt es besonders deutlich, wenn man sieht, wie der Raum sich immer weiter abnutzt, je länger man dabei ist.“
Ist es nicht schwer, wenn man keinen „richtigen“ Leinwandpartner hat?
Willem Dafoe: "Doch, die hat man. Denn die Objekte sind unsere Partner. Und man hat ja auch sich selbst (lacht). Man redet mit sich selbst und leistet sich Gesellschaft."
Nemo kreiert in gewisser Weise neue Kunst, weil er mit der Kunst im Raum notgedrungen interagieren muss.
Willem Dafoe: "Das ist das Schöne daran. Er muss mit Kunst interagieren. Es hat erstmal etwas sehr Praktisches, weil er diesen Turm bauen will, um möglicherweise fliehen zu können. Doch dann verändert sich dieses Verhältnis. Und dann ist es unmöglich nicht wahrzunehmen, dass sich die Beziehung zur Kunst deutlich gewandelt hat.“
Wären Sie selbst gerne ein Kunstsammler?
Willem Dafoe: „Ich habe nicht das Bedürfnis, Kunst zu besitzen. Man entwickelt eine andere Beziehung, wenn man Kunst jeden Tag sehen kann. Und meiner Meinung nach verliert sie damit auch etwas von ihrer Potenz.“
Hätten Sie die Kunststücke im Film selbst auch so ausgewählt?
Willem Dafoe: „Manche Bilder haben mir gefallen, andere weniger. Aber sie wurden natürlich sorgfältig ausgewählt, um diese Motive von Machtspielen und Isolation widerzuspiegeln. Es gib z.B. dieses Bild von Menschen auf einer Rolltreppe am Flughafen, die anscheinend auf ein Flugzeug warten, das aber gar nicht da ist. Sie sind gestrandet – genauso wie ich im Film.“
Fällt es Ihnen leicht, allein zu sein?
Willem Dafoe: „Ich bin es gewohnt. Ich arbeite viel und muss deshalb auch meine Familie des Öfteren verlassen. Ich kenne mich in Hotelzimmern gut aus und weiß, wie ich allein klarkomme.“
Wir erfahren nur sehr wenig über Nemo im Film. Gab es eine Hintergrundgeschichte oder haben Sie sich etwas für ihn überlegt?
Willem Dafoe: „Egal, ob man sich vorbereitet oder eine Hintergrundgeschichte kreiert: Man tut, was man tun muss, um etwas vorspielen zu können. Ich hatte immer das Gefühl, dass man sich zu sehr limitiert, wenn man sich eine Hintergrundgeschichte überlegt. Figuren geben sich vor allem durch ihre Aktionen preis. Und letztendlich arbeite ich ja auch nur mit mir bzw. einer Version von mir. Wenn man eine Hintergrundgeschichte erschafft, dann forciert man sozusagen die Entscheidungen in eine gewisse Richtung, so dass sie dem vermeintlichen Hintergrund entsprechen. Ich bin eher Fan davon flexibel zu sein und für das Szenario offen zu sein und wahrzunehmen, was es mit einem anstellt. Und das Wichtigste dabei ist offen dafür zu sein, um die Story zu finden, sie umzusetzen oder sie zu bekämpfen. Und das ist viel besser als sich im Vorfeld etwas aufladen zu müssen. Ich bin nicht da, um irgendjemanden irgendetwas erzählen zu wollen. Ich möchte eine Erfahrung haben, die hoffentlich transparent und ehrlich genug sein wird, damit sich die Leute das auch ansehen. Und sie werden hoffentlich bei mir sein und etwas mitnehmen können, weil sie etwas sehen, mit dem sie sich auch identifizieren können.“
Dieser Wunsch nach Offenheit ist aber nicht immer eine Selbstverständlichkeit…
Willem Dafoe: „Das war auch etwas, dass mich immer gestört hat, gerade auch beim Theater. Die Verantwortlichen haben eine Machtposition und geben dem Publikum stumpf vor, wie es sich fühlen soll. Ich mag Filme, bei denen das Publikum auch mitwirken kann. Manche Zuschauer:innen mögen das natürlich nicht, sondern wollen lieber unterhalten werden (lacht). Aber ich denke, wenn das Publikum teilnimmt und wenn sie den Stoff persönlich nehmen, dann ist das deutlich erfüllender für sie. Sie müssen nur etwas daran mitarbeiten.“
Sie erschaffen oft sehr komplexe und tiefgründige Figuren. Haben Sie eigentlich irgendwann in ihrer Karriere selbst einmal darüber nachgedacht Regie zu führen bzw. Filme zu erschaffen?
Willem Dafoe: „Tatsächlich nicht. Es gab einige Male, als ich von Material besessen war und darüber nachgedacht habe einen Film zu machen, jedoch nicht unbedingt Regie zu führen. Es fällt mir leichter fremde Träume zu verwirklichen als meine eigenen. Es ist als Performer viel spannender eine andere Geschichte zu spielen als die eigene. Das heißt wiederum nicht, dass es mir egal ist. Weil ich mich aber auf eine andere Geschichte einlassen muss, lerne ich etwas. Ich werde zu der Person. Und ich werde zu jemand anderem als der, der ich normalerweise bin. Und das trainiert auch andere Impulse und eine andere Form von Denken. Das ist letztendlich eine der großen Freuden beim Schauspielen. Es ist einfach so eine unglaubliche Möglichkeit. Zum einen, in andere Fußstapfen treten zu können. Zum anderen gibt es so viele Dinge im Leben, die uns limitieren, weil wir glauben, sie machen zu müssen. Wenn man performt und die Geschichte von jemand anderen spielt, dann macht man sich davon frei. Man konfrontiert sich selbst und die Dinge, an die man glaubt.“
„Inside“ startet am 16. März in den deutschen Kinos. Unsere Kritik zum Film lest ihr hier:
Den Trailer zu „Inside“ gibt es hingegen hier: