Nach langer Ungewissheit erscheint die "Mulan"-Realverfilmung von Disney nun auf dem hauseigenen Abo-Dienst Disney+ zu einem stolzen Preis. Doch lohnt sich der (teure) Trip ins ferne Kaiserreich? Das verraten wir in unserer Kritik!
Es war einmal ein traditionsreicher und innig geliebter Ort namens "Das Kino", in dem die Geschichte von "Mulan" eigentlich hätte ihren Lauf nehmen sollen. So oder so ähnlich lautet die alternative Einführung in eine der wohl größten Debatten der vergangenen Monate: Dass es um die Kinos und die gesamte Filmindustrie in Zeiten von Corona, Abstandsregelungen und Lockdowns alles andere als gut bestellt ist, dürfte für niemanden eine große Überraschung sein. Dass also ein vermeintlicher Kino-Blockbuster wie "Mulan" seinen Weg nur noch auf die hauseigene Disney-Plattform namens Disney+ findet, ist die eine Seite der unschönen Medaille und ein kleiner Schubser Richtung Abgrund für eine Institution, die leider nicht so elegant über dem Abgrund baumelt wie "Mulan" mit ihrem mächtigen Qi.
Die andere Seite ist eben die Tatsache, dass Disney die Ausstrahlung von Mulan bei Disney+ mit VIP-Zugang bewirbt. Normalerweise stelle ich mir unter VIP vor, dass ich bei einem Konzert weiter vorne stehe, coole Extras oder Goodies bekomme oder mir in der Bar ein Gratis-Getränk schnappen kann. Im Fall von „Mulan“ bedeutet VIP, dass ich 21,99 Euro zahle, um Mulan ab dem 04. September 2020 sehen zu können – bevor er knapp zwei Monate später ab dem 04. Dezember 2020 allen Disney+-Abonnenten regulär zum Streamen angeboten wird – ohne Aufschlag, versteht sich. Die Krux an der Sache: Voraussetzung für das VIP-Erlebnis von Mulan ist ein Disney+-Account. Das heißt Abonnenten, die bereits jetzt „Mulan“ sehen wollen, zahlen nicht nur den regulären Abopreis, sondern einen stolzen Aufschlag für das frühere Release. Dass diese Taktik nicht bei allen gut ankommt, ist verständlich. Das Argument, das man für Kino schließlich auch Tickets lösen muss, funktioniert für mich persönlich nicht, weil man im Kino schließlich auch für Personal, Location, Technik und eben die Institution an sich mit zahlt. Und ich zahle gerne diesen Preis für das echte Kinoerlebnis.
Zum Kern der Sache: Wie ist "Mulan" überhaupt?
Das traurige und gleichzeitig auch beeindruckende an "Mulan" ist die Tatsache, dass der Film aus jeder Pore seiner Existenz eigentlich Kino schreit. Die Ausstattung, die Sets, die Farben, die Kostüme, die spektakulären Actionsequenzen: In dieser Hinsicht ist „Mulan“ genau die Form von Spektakel-Kino, die wir uns von solch einer Disney-Adaption erwarten. Inhaltlich bleibt die Disney-Realverfilmung sehr nah am animierten Vorbild: Mulan Hua (Yifei Liu) ist die Tochter eines hochdekorierten Soldaten. Als Chinas mächtiger Kaiser ein Dekret erlässt, dass aus jeder Familie je ein Mann in die kaiserliche Armee eingezogen wird, um das Land vor Eindringlingen aus dem Norden zu verteidigen, meldet sich Mulans Vater freiwillig. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion will Mulan jedoch ihren kranken Vater schützen und schließt sich getarnt als Mann dem Militär an. Frauen ist es untersagt die Ausbildung zur Kriegerin zu machen, wie es auch ihr Komandant Tung (Donnie Yen) immer wieder aufs Neue betont. Als die Invasoren angreifen, wird Mulan zur letzten Hoffnung für das Kaiserreich.
Im großen Kanon der Disney-Produktionen kommt Mulan eine seltsame Sonderrolle zu: Einerseits ist die Story von Mulan wirklich dünn. Und damit meine ich richtig dünn. Dass Disney-Adaptionen nicht unbedingt zu den komplexesten und subtilsten Stoffen gehören, versteht sich von selbst, aber die Geschichte von Mulan lässt sich theoretisch wirklich in einem kurzen Satz adäquat zusammenfassen. Gleichzeitig war „Mulan“ anno 1998 auch eine der progressivsten Figuen im Disney-Kosmos: keine klassische Prinzessin. Keine Damsel-in-Distress, die von einem Mann gerettet werden muss, sondern eine weibliche Hauptfigur, die sich gegen patriarchale Konventionen wehrt, um den Männern der Schöpfung zu zeigen, dass Skills eben nicht auf ein Geschlecht festgelegt sind.
Die Ambiguität schwebt auch in "Mulan" von Regisseurin Niki Caro ("Whale Rider") mit und wird weiterhin betont durch die Rolle von Darstellerin Li Gong, die eine mächtige Krieger-Hexe namens Xianniang spielt, die wegen ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten vom Kaiserreich denunziert wurde und sich in ihrer unterdrückten Rolle den "bösen Jungs" anschließen musste. Das Schicksal von Mulan und Xianniang ist der narrative Spiegel, der der Heldin immer wieder vorgehalten wird – so von wegen "The Dark Side" und so. Ansonsten ist die Geschichte von „Mulan“ ein relativ vorhersehbares Unterfangen, doch tatsächlich deutlich besser und mitreißender, als zunächst zu erwarten war.
Mulan: Starke Inszenierung | Gute Darsteller
Doch warum funktioniert die Realverfilmung von „Mulan“ so gut? Das liegt vor allem an der exzellenten Inszenierung von Niki Caro. Sowohl in den ruhigen Sequenzen als auch in den zahlreichen Actionsequenzen, die tatsächlich sehr aufwendig ausfallen und ein wenig vom Wuxia-Genre inspiriert sind, beweist die neuseeländische Regisseurin ein extrem gutes Gespür für Timing und Rhythmus und ein tolles Auge für Details. "Mulan" ist ein sehr gut inszenierter und auch sehenswerter Film, der auch vom starken Darstellerensemble lebt. Neben den alteingesessenen Kult-Stars wie Donnie Yen und Jet Li glänzt eben vor allem Darstellerin Yifei Liu, die als Titelfigur „Mulan“ unglaublich viel Charisma und Energie versprüht.
Fazit
Tatsächlich ist "Mulan" eine der besten Disney-Realverfilmungen bisher, was vor allem daran liegt, dass Regisseurin Niki Caro den Film wirklich mitreißend inszeniert und dabei auf ein sehr talentiertes Darstellerensemble bauen kann, in dem "Mulan"-Darstellerin Yifei Liu noch einmal herausragen kann. Storytechnisch reißt der Film natürlich keine Bäume aus, doch gehört über 20 Jahre nach dem Original noch immer zu den progressivsten und außergewöhnlichsten Stoffen, die Disney in den vergangenen Jahrzehnten rausgebracht hat.
Sollte man also tatsächlich 21,99 Euro für den Film bei Disney+ ausgeben? Schwierig. Eigentlich ist "Mulan" klassischer Kinostoff, der mit seinen tollen Schauwerten vor allem auf der großen Kinoleinwand seine Magie entfalten kann. Doch dieses Erlebnis wird dem Kinofan durch die Disney-Veröffentlichungspolitik leider verwehrt. Der gute Film trägt jedoch keine Schuld daran, weshalb jeder Disney-Fan selbst entscheiden muss, ob er lieber jetzt schaut oder bis zum 04. Dezember 2020 auf Disney+ wartet.
Mulan startet ist ab dem 04. September auf Disney+ zum Preis von 21,99 Euro zu sehen. Ab dem 04. Dezember ist "Mulan" dann regulärer Bestandteil des Disney+-Abos, das ihr hier abschließen könnt. Den Trailer zu Mulan seht ihr hier:
Text & Kritik: David Rams