Sandra Bullock ist seit dem 21. Dezember mit einem neuen Film bei Netflix zu sehen - doch nicht etwa in einer Hollywood-Schnulze, sondern in der Horrorthriller-Eigenproduktion "Bird Box". Wir trafen sie zum Interview.
Sandra Bullock, der neue Star am Horror-Thriller-Himmel? Klingt irgendwie... falsch, kennen wir sie doch zumeist aus Hollywood-Schmonzetten wie "Ein Chef zum Verlieben" oder Action-Streifen wie "Speed". Für Netflix probierte die Oscar-Gewinnerin nun jedoch ein neues Genre aus: Ab dem 21. Dezember ist die 54-Jährige in dem auf dem Roman von Josh Malerman basierenden postapokalyptischen Film "Bird Box" von der dänischen Regisseurin Susanne Bier ("In einer besseren Welt", "Nach der Hochzeit") zu sehen.
Netflix "Bird Box": Sandra Bullock hatte schon abgelehnt!
Darin schlüpft sie in die Rolle der jungen Künstlerin Malorie, die miterlebt, wie die gesamte Weltbevölkerung urplötzlich von einem rätselhaften Wahn befallen wird und sich in einer riesigen Selbstmordwelle selbst dezimiert. Sicher ist nur eines: Es geht ein Grauen um, und wer es erblickt, ist dem Tod geweiht. Um sich selbst und ihre Kinder zu retten, muss sie die Reise über einen reißenden Fluss antreten und zum letzten sicheren Zufluchtsort gelangen - ohne dabei ein einziges Mal ihre Augen zu öffnen.
Ein Stoff, der Sandra Bullock zuerst gar nicht zugesagt hat: "Ich habe das Script zum Film schon vor Jahren einmal in den Händen gehalten und damals keine Verbindung zu der Geschichte gefühlt. Das hat sich geändert, als es vor zwei Jahren noch einmal auf meinem Schreibtisch gelandet ist und ich danach das Buch gelesen habe", so die Schauspielerin zu TV Movie Online, als wir sie in Berlin zum Interview treffen.
Was sich genau geändert hat, kann sie sich selbst nicht ganz erklären: "Vielleicht liegt es daran, dass ich inzwischen selbst Kinder habe, oder sie das Drehbuch umgeschrieben haben. Außerdem hat es mich gereizt, dass ich mich vorher noch nie in dem Genre ausprobiert habe. Und ich habe mir immer gesagt, bis zu meinem Tod will ich jedes Genre einmal ausgetestet haben!"
Bird Box: Das, was sich in unserem Kopf abspielt
Gezeigt wird der mysteriöse Schrecken, der das Ende der Welt, wie wir sie kennen, einläutet, nie. Stattdessen spielt Regisseurin Susanne Bier mit der Ungewissheit, zeigt, wie auch ihre Protagonisten (u.a. John Malkovich) mit dieser leben müssen - und daran fast zerbrechen. "Sie sagte: 'Hierbei geht es um unsere eigenen größten Ängste. Wie soll ich etwas visualisieren, das sich in unseren Köpfen abspielt und für jeden von uns so persönlich und verschieden ist?'", erzählt Sandra Bullock.
Welche Ängste man in "Bird Box" angesprochen sehen will, ist jedem Zuschauer selbst überlassen. Ebenso, in welchen Kontext er den Film setzen will. "'Bird Box' könnte das politische Klima wiederspiegeln, oder auch das sozio-ökonomische, es könnte aber auch das, was im Internet vor sich geht, etwas Fremdartiges oder etwas Außerirdisches thematisieren. Jeder der Überlebenden in dem Haus, in dem Malorie zwischendurch Unterschlupf findet, versucht, seine eigene Erklärung für das Geschehene zu finden. Genauso wie es auch in unserer Gesellschaft schon immer unterschiedliche Sichtweisen als Reaktion auf verschiedene Ängste gab."
Dabei ist der mysteriöse Schrecken nicht die einzige Versinnbildlichung der Furcht, wie die Darstellerin betont. Auch vermeintlich Schönes wie die Liebesbeziehung, die sich zwischen Malorie und einem anderen Zufluchtsuchenden (Trevante Rhodes) entspinnt, der für die Kinder bald zur Vaterfigur wird, lässt nie vergessen, auf welch wackeliger Grundlage dieses harmonische Konstrukt aufgebaut ist. Über allem hängt die stetige Bedrohung. "Die Liebesgeschichte ist für mich eine Metapher für das Muttersein, für all die Ängste, mit denen du als Elternteil Tag für Tag konfrontiert wirst", erklärt Sandra Bullock, selbst zweifache Mutter.
Bird Box: "Ich habe mich noch nie so benutzt gefühlt"
Da die Gefahr in "Bird Box" auch fassbar sein muss, war es an den Schauspielern, "das Abgründige aufzufangen", sagt Sandra Bullock. Ein Kraftakt. "Ich habe mich noch nie so 'benutzt' gefühlt wie bei Susanne. Sie stellt sicher, dass du auch wirklich jeden Teil von dir und jede Emotion, zu der du fähig bist, ausschöpfst. Oft wusste ich vorher nicht einmal, was das war."
Über die Hälfte des Drehs musste sie mit verbundenen Augen spielen, eine Herausforderung, die die Darstellerin an ihre Grenzen brachte. "Ich war kein netter Mensch, wenn ich die Augenbinde trug. Ich hatte oft schlechte Laune und war verwirrt, denn ich konnte mich ja nicht auf meine Augen verlassen wie normalerweise." Stattdessen habe sie gelernt, "mit den Ohren zu sehen." Ein paar Monate Übung bewahrten Sandra Bullock allerdings trotzdem nicht davor, mit dem Gesicht regelmäßig in der Kamera hängen zu bleiben.
Besonders dramatisch sei die Szene gewesen, in der sie mit ihren zwei Filmkindern mit verbundenen Augen auf dem Fluss trieb - der schwerste Dreh des ganzen Films. Eigentlich sei die Szene für einen ganz anderen Tag geplant gewesen, doch Susanne Bier habe diese bedeutsame Szene einfach spontan drehen wollen. "Ich wollte sie am liebsten zusammenschlagen und sie töten! Ich war so wütend", erinnert sich Sandra Bullock grinsend. "Sie macht das mit Absicht; sie wollte mich aus der Komfortzone stoßen. Sie wusste, ich würde mich vorbereiten wollen. Sie wollte aber sehen, was ich kann, wenn ich mich nicht wohl fühle. Dafür muss man viel Mut haben, denselben Mut, den sie damit bewiesen hat, das Grauen nicht zu zeigen."
Was bei dieser Arbeitsweise entsteht, ist etwas Besonderes, da ist die Schauspielerin überzeugt. "Ob es das Hässliche am Muttersein ist oder die Intimität von Beziehungen - Susanne hat eine Gabe und keine Angst davor, zwischenmenschliche Gefühle einzufangen und zu zeigen. Das bewundere ich sehr. Es hat mich mutiger gemacht, mit ihr zusammenzuarbeiten. Es war eine der erfüllendsten Arbeitserfahrungen, die ich je gemacht habe."
Wer sich davon überzeugen will, inwiefern die Zusammenarbeit der beiden geglückt ist, kann dies ab dem 21. Dezember bei Netflix tun. Hier gibts im Trailer einen Vorgeschmack:
von Sophie Piper