Spätestens mit der Ankunft von "Half Life: Alyx" hat Virtual Reality sein Nischendasein endgültig aufgegeben. Zum großen Durchbruch im Mainstream ist aber noch ein weiter Weg. Doch wie sieht die Zukunft des VR Gamings aus und wie lässt sich die neue Technologie auch auf andere Medien wie bspw. den Film anwenden? Darüber sprachen wir mit HTC Vive EMEA Fabian Nappenbach.
"Ich denke, VR wird einen entscheidenden Umbruch bringen", kündigte der legendäre Videospiel-Entwickler Hideo Kojima ("Metal Gear Solid", "Death Stranding") vor kurzem in der Dokumentation "From Bedrooms to Billions: The Playstation Revolution" an. Während aktuell die Videospielgemeinde mit Spannung auf die Ankunft der PlayStation 5 und Xbox Series X wartet, die den Konsolen-Mainstream mit der gemutmaßten Nintendo Switch Pro in den kommenden Jahren beherrschen dürften, bleibt die große Frage, welche Rolle Virtual Reality in Zukunft einnehmen wird.
Seit Jahren einer der Key-Player im Bereich ist HTC, die mit dem Vive Elite Cosmos vor allem auf Core-Gamer und VR-Enthusiasten abzielen. Wir konnten mit HTC Vive EMEA Fabian Nappenbach ausführlich über die Rolle von Virtual Reality im Hier und Jetzt und in der Zukunft reden: Ob sich der Zugang zu VR in der Corona-Pandemie verändert hat und was die neue Grafikkarten-Generation ermöglichen könnte, verriet er uns im ausführlichen Interview.
TVMovie.de: Erinnerst du dich noch an deine erste VR-Erfahrung?
Fabian Nappenbach: Das dürfte ca. 2013 bei der IFA gewesen sein. Das war eine Art Achterbahnsimulator eines Konkurrenten, den ich aber nach kurzer Zeit bereits abbrechen musste, weil mir irrsinnig schlecht wurde. Allerdings war nicht nur die 1. Generation der VR-Headsets Schuld, sondern mein leichter Kater an dem Tag (lacht). Die erste VR-Erfahrung, die sich mir dann aber richtig eingebrannt hat, war dann aber in den heiligen Hallen von Valve im Jahr 2014. Die kompletten Räumlichkeiten waren Half-Life und Portal gebrandet – es war unglaublich! Nachdem ich dann meinen inneren Fanboy etwas beruhigen konnte, durfte ich den 1. Prototypen der VIVE ausprobieren. Und es war wirklich lebensverändernd, da ich ein großer Science-Fiction-Fan bin, aber auf diese Erfahrung nicht wirklich vorbereitet war. Der Eindruck wirkt immer noch nach auf mich.
Die Corona-Pandemie hat aktuell weitreichende Auswirkungen darauf, wie die Menschen arbeiten und miteinander kommunizieren. Gibt es da auch Erfahrungswerte im Bereich VR, die sich im Jahr 2020 verstärkt zeigen?
Es gibt tatsächlich eine größere Nachfrage VR als mögliche Kommunikationsplattform zu nutzen. Fast jeder ist nach einer gewissen Zeit einfach etwas Zoom oder Teams müde. Wir haben unsere eigene VR-Conferencing-Software VIVE Sync sehr schnell kostenfrei zur Verfügung gestellt. Beim Thema Konferenzen erlaubt dir die Software zumindest so etwas Ähnliches herzustellen wie Realität.
Konkret haben wir die Software auch für ein Kundenevent genutzt, um ein neues Produkt vorzustellen. Normalerweise würde man die Teilnehmer in ein Hotel einladen und das Produkt zeigen. Das Event haben wir jetzt komplett in VR abgehalten, in einem virtuellen Amphitheater, in dem dann im entscheidenden Moment das Produkt drei Meter groß eingeblendet wurde – á la Odyssee im Weltraum (lacht). Und alle waren glücklich, gerade weil viele ihre Kollegen endlich wieder im virtuellen Raum wiedertreffen konnten und man die Illusion hat gemeinsam diesem Event beiwohnen zu können. Witzigerweise ging es in den finalen Berichten dann mehr um die Möglichkeiten der VR-Software als um das Produkt selbst (lacht). Aber spätestens da war uns klar, wie groß der Bedarf nach dieser Art von Verwendung ist.
Welche Herausforderungen gibt es auf Seiten der VR-Produzenten, um bspw. eben diese Produktvorstellung möglichst gut werden zu lassen?
Es sind tatsächlich viele kleine essenzielle Details, auf die es da ankommt: Bspw., dass die Avatare nicht nur simple Computerspiel-Avatare sind, sondern sich mit einem Selfie aus der Compagnon-Software gestalten lassen, aus dem letztendlich dann ein ganz individuelles Avatar erstellt wird. Das Avatar kann man dann natürlich auch noch etwas abändern im Gegensatz zum wahren Leben, aber es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn einen die Leute im virtuellen Raum auch wiedererkennen. Es lassen sich mit der Software auch Lippenbewegungen simulieren. Man hat einfach schnell dieses Gefühl, dass man tatsächlich sein Gegenüber wiedertrifft, auch wenn das ganz offensichtlich natürlich nur in diesem künstlichen Raum geschieht. Wir sind allerdings noch ganz am Anfang dieser Technik: Da ist noch kein Full-Body-Tracking, Lip-Tracking oder Eye-Tracking inbegriffen.
Grundsätzlich klingt an sich großartig. Die Schwierigkeit daran ist natürlich, dass theoretisch alle Teilnehmer bei Meetings im Idealfall mit einem VR-Set ausgerüstet sein müssten…
In dieser Zwischenphase, in der wir uns gerade befinden, ist es natürlich wichtig alle abzuholen. Das heißt auch, dass Leute ohne VR-Headsets genauso ein wichtiger Bestandteil sind. Unsere Software VIVE Sync hat dafür bspw. auch einen Tablet-Modus. Aber klar: Im Grunde muss jeder bei uns einfach nur ein VR-Headset kaufen und die Sache ist erledigt (lacht). Spaß beiseite: Das hängt, wie bei fast allen VR-Themen, natürlich stark mit der Entwicklung des Preises und der Verfügbarkeit zusammen. Und so furchtbar und bescheuert die Corona-Pandemie aktuell für uns alle auch ist, für die Akzeptanz von neuen Technologien ist sie definitiv ein Beschleuniger.
Jetzt spielt der Preis für VR-Geräte natürlich eine große Rolle: Gute VR-Brillen kosten mindestens genauso viel wie bpsw. die PlayStation 5 und Xbox Series X. Glaubst du, dass sich die Kunden irgendwann auch für den Preis von hochwertigen VR-Geräten öffnen oder muss VR zwangsläufig „günstiger“ werden?
Es gibt keine definitiven Regeln für Preispunkte. Man sieht es im Gaming-Markt, dass bei jeder neuen 100 Euro-Hürde eine andere Zielgruppe angesprochen wird. Casual Gamer, die sonst nur wenig Berührungspunkte mit Videospielen haben und bspw. nur eine Nintendo Switch besitzen, werden vielleicht eher durch Einsteiger-VR-Modelle angesprochen, die auch eher in dieser Preislage sind. Core Gamer, die jetzt dafür gesorgt haben, dass eine 700-Euro-Grafikkarte in Sekunden ausverkauft ist, hatten mit den bisherigen VR-Kosten eher weniger Probleme.
Ein Teil der Kosten für VR wird aber automatisch billiger: Eine aktuelle Einsteigergrafikkarte ist im Gegensatz zu früher bereits VR-fähig und natürlich viel günstiger als noch vor 2-3 Jahren. Die PC-VR-Brillen erscheinen nur deshalb nicht „günstiger“, weil sie von Generation zu Generation einen großen Leistungssprung machen. Wir haben mit 2K-Geräten angefangen und erreichen jetzt schon fast 4K. Die Ansprüche an die Bildqualität sind von Seiten der User sehr hoch.
Hideo Kojima spricht in einer neuen PlayStation-Doku davon, dass VR einen entscheidenden Umbruch in der Videospielindustrie bringen wird und das die wichtigsten Impulse in den nächsten 2-3 Jahren zu erwarten sind. Siehst du das auch so?
Man hat mit dem großen Erfolg von „Half Life: Alyx“ gesehen, was so ein Ausnahmespiel für die Technologie bewirken kann. Plötzlich war VR auch ein Thema in den Feuilletons der großen deutschen Tageszeitungen und damit werden natürlich auch ganz neue Leute erreicht. Und im Endeffekt kann sowas auch andere Teams und Entwickler inspirieren: „Star Wars: Squadrons“ ist bspw. jetzt erschienen und auch komplett in VR spielbar. Ich bin mir sicher, dass die Entwickler u.a. durch den Erfolg von Alyx ermutigt wurden das durchzuziehen. Ich erwarte mir vom „Microsoft Flight Simulator“ und der kommenden VR-Erweiterung neue Impulse für die Branche. Und im Endeffekt ist es dann wie in jeder anderen Branche: Der Erfolg zieht neue Leute an. Und hoffentlich gibt es bald weitere Spiele, die die breite Masse erreichen und begeistern können.
In welche Richtung geht speziell bei HTC die Entwicklung von VR weiter?
Wir stellen uns weiterhin im Highend-Segment, aber es gibt natürlich wichtige Evolutionsthemen: Neben den typischen Themen, die uns bspw. von Anfang an begleiten, wie die Entwicklung besserer Screens ist eine entscheidende Frage gerade, was zukünftig alles trackbar sein wird. Wir haben mit Headtracking angefangen und in den Business-Geräten jetzt auch das erste Mal Eyetracking am Start. Ein spannendes Thema ist auf jeden Fall das Handtracking: Gerade im Business-Bereich gibt es einfach viele Menschen, die noch nie einen Controller in der Hand hatten. Ich hoffe, dass früher oder später auch die Game-Developer auf diesen Bereich anspringen und da noch coole Ideen für ihre Spiele erfinden. Für uns ist das aktuell auf jeden Fall ein großes Betätigungsfeld.
HTC Vive hat in diesem Jahr zum ersten Mal mit den Internationalen Filmfestspielen von Venedig kooperiert und eine eigene VR-Sektion mitkuratiert. Welche Rolle spielt VR möglicherweise in naher Zukunft in der Filmindustrie?
Was einen eigenen VR-Film relativ schnell überholt hat, ist die Möglichkeit VR bei klassischen Hollywood-Filmen beim Dreh einzusetzen. Unser größter Promoter ist da vermutlich Jon Favreau, der das aktiv beim „König der Löwen“-Realfilm eingesetzt hat und jetzt wieder bei „The Mandalorian“ – Staffel 2 damit arbeitet. Ob sich komplette Filme in VR umsetzen lassen, erachte ich als schwierig: Ein passives Medium wie der Film tut sich da deutlich schwerer als bspw. Videospiele, einfach weil der Blick des Zuschauers beim VR-Film auf irgendeine Art und Weise gelenkt werden muss. Deshalb zweifle ich daran, ob ich jemals einen Marvel-Blockbuster komplett in VR erleben werde, einfach weil es so viel Umdenken auch bei den Verantwortlichen voraussetzt. Für kleine Features und Featurettes eignet sich das allerdings perfekt und ist auch relativ gut umsetzbar.
Dann zum Abschluss die eher hypothetische Frage: Sollte es diesen Marvel-VR-Film tatsächlich geben, wo würden ihn die Menschen sehen? In den heimischen vier Wänden oder doch in einem „echten“ Kinoraum mit lauter VR-Sets?
Dass sich das Ganze zuhause abspielt, ist sicher leichter umzusetzen und auch eher vorstellbar. Die Frage ist natürlich: Gibt es einen Fall, in dem ich dieses Erlebnis auch räumlich mit Anderen teilen möchte? Tatsächlich ist es oft ein Trugschluss zu denken, dass VR, salopp gesagt, etwas für einsame Leute sei. Viele Studien besagen nämlich, dass die meisten ihre erste VR-Erfahrung im Beisein von Freunden und anderen Menschen machen. Das hat ein sehr stark verbindendes Element. Deshalb wäre es für diversifizierte Kinoanbieter sicherlich eine Überlegung wert bpsw. einen kleinen VR-Raum einzurichten, um so etwas gemeinsam erleben zu können.
Gemeinsame Multiplayer-Spiele mit echten Mitspielern und deren Avataren machen einfach verdammt viel Spaß. Ich würde mich tatsächlich deshalb sehr freuen, wenn die großen Kinobetreiber, die auch die Ressourcen für so etwas besitzen, in naher Zukunft ein VR-Erlebnis anbieten würden.
Interview & Text: David Rams