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Fernsehen

Angela Merkel: Schicksalsjahre einer Kanzlerin: Warum Merkel nicht spricht

Die Dokuserie porträtiert die Ex-Kanzlerin und die wichtigsten Momente ihrer politischen Laufbahn.  Wir trafen Regisseur Tim Evers zum exklusiven Gespräch. 

"Angela Merkel: Schicksalsjahre einer Kanzlerin" Regisseur Tim Evers im Gespräch
„Angela Merkel: Schicksalsjahre einer Kanzlerin“: Ein Gespräch mit Regisseur Tim Evers. Foto: rbb/SWR/MDR/Looksfilm/picture alliance/Ulrich Baumgarten/Armin Linnartz/CC BY-SA 3.0 DE

Angela Merkel schaffte das, was zu Beginn ihrer politischen Karriere im Jahr 1990 nahezu undenkbar war. Sie war nicht nur die erste – auch noch aus der DDR stammende – Kanzlerin des Landes, sondern auch so lange an der Spitze wie niemand vor ihr. Doch trotz der bis dato unvergleichbaren und skandalfreien politischen Laufbahn, stehen viele ihrer Entscheidungen besonders seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in der Kritik. Gemeinsam mit dem 70. Geburtstag der Kanzlerin also der perfekte Moment für eine Retrospektive auf essenzielle Momente ihrer politischen Laufbahn, fand die ARD. Und holte mit Regisseur Tim Evers dafür jemanden ins Team, der das Projekt auf eine ganz besonders frische Art und Weise umsetzen konnte.

 

„Angela Merkel: Schicksalsjahre einer Kanzlerin“: Interview mit Regisseur Tim Evers

Zum offiziellen Start der fünfteiligen Dokuserie in der ARD Mediathek trafen wir Regisseur Tim Evers zum Telefoninterview und sprachen über die Bedeutung der Musik im Film, Herausforderungen eines solchen Projektes und – natürlich – die Ex-Kanzlerin. Am 15.07. lief die Doku um 22:30 Uhr in der ARD und heute, am 17.07. (am 70. Geburtstag der Ex-Kanzerlin) um 20:15 Uhr ist die Dokumentation in ihrer 90-minütigen Fassung im RBB zu sehen. 

Interview: Kimberly Hofmann

TVM: Die Dokumentation „Schicksalsjahre einer Kanzlerin“ erscheint anlässlich des 70. Geburtstags von Angela Merkel. Seit sie im Dezember 2021 ihr Amt verließ, ist viel passiert. Warum lohnt sich gerade jetzt ein Blick auf ihre (politische) Vergangenheit? 

Tim Evers: Ich glaube, gerade weil etwas Zeit vergangen ist, ist jetzt ein interessanter Moment, um nochmal zurückzuschauen. Der Blick auf ihre Kanzlerschaft hat sich sehr verändert – vor allem durch den russischen Überfall auf die Ukraine. Viele offensichtliche Versäumnisse sind plötzlich sichtbar geworden. Oder zumindest hat man heute eine andere Haltung zu den Dingen. Ihr 70. Geburtstag bot einen äußeren Anlass, doch eigentlich kam das Interesse daher zu sagen: Da lohnt sich ein neuer Blick. 

TVM: Ein Mammutprojekt angesichts so vieler Jahre Kanzlerschaft. Wie lange tüftelt man daran?

Tim Evers: Tatsächlich war es eine sehr knappe Terminproduktion. Die Pläne gab es schon länger, aber konkret und spruchreif wurde es innerhalb der ARD im November 2023, ich bin im Oktober letzten Jahres an Bord gekommen.

TVM: Wer hat also die ersten Impulse gegeben? 

Tim Evers: Die Idee kommt aus der ARD: Eine Erzählung über Angela Merkel, die sich auch an eine jüngere Zielgruppe richtet. Ich bin dazu gekommen, weil man, glaube ich, nicht den klassischen Politjournalisten dafür suchte. Ich komme eher aus den Bereichen Zeitgeschichte und Popkultur. Die Dokumentation sollte zum Beispiel durch Musik einen jüngeren, frischeren Zugang schaffen.

TVM: Die Musik ist tatsächlich etwas, das sofort auffällt. Sie ist ein wichtiger Teil der ganzen Erzählung!

Tim Evers: Musik ist immer der direkteste Weg in die Köpfe – oder ich möchte fast sagen, in die Herzen der Zuschauer. Man kann damit an Assoziationen, Gefühlslagen und ein Zeitgefühl anknüpfen – schon durch drei Takte eines Songs, den die Leute mit einer bestimmten Zeit verbinden. Das konnten wir uns gut zunutze machen, weil wir auch ein Stück deutsche Geschichte seit 1990 erzählen. Musik war hier ein ganz wichtiges Element.

TVM: Haben Sie ein Beispiel?

Tim Evers: Das Stück „Running Up That Hill“ aus den 80er Jahren von Kate Bush haben wir so ein bisschen zum Leitmotiv gemacht. Durch „Stranger Things“ ist der Song in den letzten Jahren wieder sehr populär geworden – besonders bei der jüngeren Zielgruppe. Das war perfekt, um sowohl in die Zeit zurückzuführen und gleichzeitig bei den Jüngeren andocken zu können.

TVM: Was war die größte Herausforderung bei diesem Projekt?

Tim Evers: Zum einen die Archivlage. Das ganze Material in der kurzen Produktionszeit zu sichten und zu verarbeiten, war schon eine große Herausforderung. Zum anderen aber auch der Umgang mit den teilweise sehr bekannten, aber auch oft einförmigen Bildern im Politikbetrieb: Immer wieder Beiträge, in denen Merkel in die Parteizentrale geht und wieder herauskommt. Daraus musste man in den insgesamt 160 Minuten eine Erzählung formen.

TVM: Wie verliert man bei so viel Material nicht den Überblick? 

Tim Evers: Die guten Sachen bleiben im Kopf! Durch die fünfteilige Struktur standen außerdem Fokus-Themen fest. Jede Folge sollte einen besonderen Moment in der Laufbahn von Angela Merkel ins Zentrum rücken: In der ersten Episode kommt sie in die Politik und die DDR bricht zusammen. Der zweite Teil zeigt, wie sie in der CDU die Macht übernimmt, der dritte, wie sie Kanzlerin wird. Im vierten steht die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 im Fokus. Und der fünfte Teil beschäftigt sich mit ihrem Abschied und ihrer Bilanz. Damit war die Arbeit in gewisser Weise schon strukturiert. Und es war auch klar, was wir nicht erzählen können, etwa die Finanzkrise. 

TVM: Und was ist das Spannendste, das man in der Doku über Angela Merkel lernt? 

Tim Evers: Um das zu beurteilen, fehlt mir wahrscheinlich der Abstand. Ich finde allerdings, dass gerade die Jüngeren einen unvoreingenommenen und frischen Blick auf sie haben, der auch mir Dinge klarer gemacht hat.

Der Youtuber LeFloid beschreibt zum Beispiel, wie er zum ersten Mal ins Kanzleramt fährt und als erster Youtuber ein Interview mit ihr führt. Er erzählt von den Gepflogenheiten und Ritualen bei so einem Interview mit der Bundeskanzlerin. Und beschreibt damit, was Merkels „Teflon-artigkeit“ eigentlich ausmacht, wie alles darauf angelegt ist, dass man nicht an sie herankommt. Das fand ich schon sehr erhellend zu hören.

TVM: Neben dem Youtuber LeFloid kommen auch viele andere Protagonist:innen zu Wort – unter anderem ein Ex-AFDler. Warum haben Sie sich genau für diese Menschen entschieden? 

Tim Evers: LeFloid war eben der erste Youtuber, der sie interviewen durfte. Das erschien uns interessant, weil es auch ein Versuch war, ihn als Sprachrohr für eine neue Zielgruppe zu vereinnahmen. Denn das war nicht lange nach diesem berühmten Satz von Angela Merkel: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Da bestand also Handlungsbedarf.

Zum anderen braucht man natürlich Weggefährten und durchaus auch Kontrahenten. Also jemanden wie Roland Koch, der in derselben Partei war, ihren Aufstieg allerdings mit Argwohn beobachtet hat. Oder eben einen ehemaligen AFD-Politiker. Wir haben sehr lange versucht, Frauke Petry für den Film zu gewinnen. Sie hat auch eine Ost-West-Biografie, ist eine jüngere Stimme, hat Politikerfahrung, hat Merkel aus der Nähe erlebt – das wäre spannend gewesen. Wir wollten Angela Merkel einfach aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven einfangen.

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TVM: Gibt es denn noch andere Protagonistinnen, die Sie auch gerne dabeigehabt hätten? 

Tim Evers: Angela Merkel (lacht).

TVM: Das wäre meine nächste Frage gewesen!

Tim Evers: Natürlich haben wir Angela Merkel auch angefragt, das versteht sich von selbst bei so einem Projekt. Sie hat aber aus Termingründen abgesagt. Das hat uns allerdings nicht überrascht, denn sie schreibt ihre Autobiografie, die im Herbst erscheinen soll. Natürlich will sie dann nicht vor einer Kamera erzählen, was sie auch in ihr Buch schreibt.

TVM: Wie geht man damit um, ein Porträt von jemandem zu zeichnen, den man nicht trifft?

Tim Evers: Ich habe versucht, einen Weg zu finden, über sie zu sprechen und zugleich auch über uns. Ich hatte immer vor Augen, eine Art deutsches Selbstgespräch über Angela Merkel zu initiieren. Sich zu fragen, wer uns da eigentlich so lange regiert hat, warum wir sie immer wieder gewählt haben und zugleich, warum jetzt so damit gehadert wird.

TVM: Welche Reaktion von Angela Merkel würden Sie sich wünschen, wenn sie sich die Doku selbst anschaut? 

Tim Evers: Och, das wage ich mir gar nicht vorzustellen. So wie ich sie einschätze, schaut sie sich nicht 160 Minuten über sich selbst an.

TVM: Und welche Reaktion erwarten Sie von Ihren Zuschauer:innen? 

Tim Evers: Ich wollte weder einen Verriss machen noch eine Lobeshymne singen. Irgendwo stand mal, die Doku sei eine kritische Würdigung, und das kommt der Sache vielleicht schon näher. Ich selbst möchte mich sowieso eines Urteils enthalten, ich wollte einfach verschiedene Sichtweisen aufeinanderprallen und diese scheinbar so vertraute Figur Angela Merkel wieder ein bisschen fremd erscheinen lassen. Sodass auch Menschen, die vielleicht meinen, alles über sie gehört zu haben, neu hinsehen. Denn der Weg, den sie zurückgelegt hat, ist schon sehr außergewöhnlich.



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