Kult-Horror-Regisseur Pascal Laugier veröffentlicht mit „Ghostland“ einen seiner persönlichsten Filme. Neben ganz viel Herz steckt in dem Streifen trotzdem der unbarmherzige Horror, den man von ihm kennt – wenn auch nicht so graphisch wie gewohnt.
„Ghostland“ behandelt die Geschichte von Beth, einem jungen Mädchen, das mit seiner Mutter und seiner Schwester Vera in das alte Haus ihrer verstorbenen Tante zieht. Die junge Familie wird daraufhin von zwei Männern überfallen. Besonders die beiden Schwestern sind danach traumatisiert und werden bis ins Erwachsenenalter von dieser schrecklichen Erfahrung verfolgt.
16 Jahre später ist Beth eine erfolgreiche Horror-Romanautorin, Vera hat sich jedoch nie von dem Überfall erholt und leidet unter Wahnvorstellungen. Zusammen mit ihrer Mutter lebt sie immer noch in dem alten Haus. Als Beth in ihr ehemaliges Zuhause zurückkehrt, merkt sie, dass etwas nicht stimmt…
Klassische Horrorelemente mit interessantem Twist
Der Film kann als klassischer Horrorfilm gezählt werden, wobei mit traditionellen Horrorelementen gespielt wird. So ist die gesamte Atmosphäre von „Ghostland“ natürlich düster und gruselige Puppen sowie die oft verwendete Metapher des alten, leerstehenden Hauses finden Verwendung. Jedoch wirkt kein altertümlich-mysteriöser Gegenstand fehl am Platz, sondern findet Verwendung in der Entwicklung der Handlung.
Ähnlich verhält es sich mit dem geschickt gewählten Plottwist, der den Film nochmal komplett auf den Kopf stellt. Während viele „überraschende“ Wendungen in Horrorfilmen oft gezwungen wirken, setzt der Regisseur sie als Mittel ein, um der Geschichte mehr Bedeutung zu verleihen und die Beziehung der Figuren noch mehr auszubauen. Das macht das Erlebnis des Films ein Stück realer und schockierender. Wie Pascal Laugier im Interview mit TV Movie erklärt, war der Plottwist und auch das Ende von „Ghostland“ schon seit der frühen Entstehungsphase geplant, was man durchaus merkt. Der gesamte Film wirkt gut durchdacht und intelligent geschrieben.
Pascal Laugier verewigt sich selbst in „Ghostland“
Was „Ghostland“ von Pascal Laugiers anderen Projekten unterscheidet, ist die persönliche Bedeutung, die der Regisseur dem Film zuschreibt. Er erzählt, dass seine Beziehung zu seinem Bruder ihn zu „Ghostland“ inspiriert hat: „Er ist eine sehr bodenständige Person, ich war immer sehr einfallsreich und kreativ – vielleicht ein bisschen zu sehr. Ein Teil der Gespräche zwischen mir und meinem Bruder hat es dann auch in den Film geschafft, was man an der Gegensätzlichkeit der zwei Schwestern [Beth und Vera] sieht.“ Tatsächlich bezeichnet Laugier Beth als „Mini Me“, also einer jüngeren Version von sich selbst.
Die Gemeinsamkeiten, die ihn mit Beth verbinden, sind fast nicht zu übersehen. Wie auch er hat das Mädchen eine große Faszination für Horror und ist anders als andere in ihrem Alter. „Das Horror-Genre ist das Genre, das für mich am Naheliegendsten war. Wahrscheinlich, weil ich ein Außenseiter war, wie ein Monster. Ich habe nicht in die sozialen Regeln der Gesellschaft gepasst“, erklärt Laugier seine Faszination für Gruselfilme und outet sich damit als Vorbild für die Figur.
Gerade deswegen war es für ihn wichtig, die Geschichte von Beth zu erzählen: „Ich wollte ein Mädchen aus der heutigen Zeit zeigen, das keinen Computer und kein Social Media benutzt und komplett von ihrer inneren Welt getrieben wird. Ein Mädchen, das besessen vom Schreiben ist. Für mich ist es ein Portrait eines großartigen, jungen Mädchens, das sich in eine echte Autorin verwandelt, wie ein Schmetterling. Und dafür muss sie Unheil, Hässlichkeit, Schmerzen, Angst und Leid erfahren, um ihre Kunst kraftvoller und persönlicher zu machen.“
Mehr Herz als Blut
Vielleicht ist das auch ein bisschen der Grund dafür, wieso „Ghostland“ weitaus weniger brutal und blutig daherkommt als sein Vorgänger „Martyrs“. Der Regisseur erklärt seine Verwendung von Gewaltdarstellungen als Hilfsmittel „wie wenn man das Licht oder einen Schauspieler benutzt“. „Es ist wie die Farbe für einen Maler“, verrät er, „bei diesem Film habe ich es nicht so empfunden, dass extreme Gewaltdarstellung nötig war, also ist der Film nicht blutrünstig und die Art der Gewalt ist sehr anders. Es wird nicht viel gezeigt, das meiste wird nur angedeutet.“
Mit „Ghostland“ beweist Pascal Laugier, dass angedeutete Gewalt genauso schaurig sein kann, wie ein gezeigtes Blutbad. Trotzdem gibt es auch in „Ghostland“ hier und da ein paar Szenen, die einen die Hände vors Gesicht schlagen lassen. Auch dafür hat der Regisseur eine Erklärung: „Was sie Gewalt nennen, nenne ich das Erlebnis des Bösen, das Erlebnis von Schmerzen und das ist so ziemlich die Definition des Horror-Genres. Ein Pornofilm ohne Sex ist nicht möglich, ein Horrorfilm ohne Gewalt ist ebenso wenig möglich, was auch immer die Art der Gewalt ist.“
Damit bringt Laugier genau auf den Punkt, was Menschen an Horrorfilmen so fasziniert: „Was ich am Horrorgenre liebe, ist, dass es das Schlimmste des Menschsein nimmt und es in einen Akt der Schönheit verwandelt. Für mich kann das nicht anstößig sein.“ Genau deswegen gibt es für ihn auch keine Grenzen, was Gewaltdarstellung angeht, denn die verschieben sich ja sowieso immer von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, so der Regisseur.
Pascal Laugier macht „wilde Filme“
Inspiriert wird Pascal Laugier nach eigener Aussage von „wilden Nische-Filmen“ der siebziger und achtziger Jahre. Als Beispiele nennt er „Der Exorzist“ und „The Texas Chainsaw Massacre“. Er sieht es als seine Aufgabe an, diese Art von Filmen in der heutigen Zeit zu vertreten: „Heute wirkt alles auf mich so normal, so familienorientiert. Auf meine eigene bescheidene Weise versuche ich dieselbe Art von wilden Filmen zu machen.“ Vielleicht steckt darin auch ein bisschen Kritik an der heutigen Mainstream-Filmindustrie, die geprägt ist von Remakes und Neuauflagen. Mit „Ghostland“ wirkt Pascal Laugier der modernen Ideenlosigkeit entgegen und steht als Person für provozierende und außergewöhnliche Genre-Filme.
Im Interview bezeichnet Pascal Laugier seine Filme als „Prototypen, die weder weiß noch schwarz sind“. Auch „Ghostland“ reiht sich in die Riege seiner – im besten Sinne des Wortes – eigenartigen Filme ein. Was dieses Werk jedoch besonders macht, ist die sorgfältige Ausarbeitung der Hauptfiguren und die sehr persönliche Geschichte, die sich hinter der Fassade eines Horrorfilms versteckt. Kinostart ist in Deutschland am 5. April.
Selina Jüngling