Zwischen VHS-Kassetten, Teenager-Ängsten und Lieblingsserien konstruiert Jane Schoenbrun einen der schaurig-schönsten Coming-of-Age-Filme seit langer Zeit!
Weißt du noch, wie es früher war? Noch lange vor Netflix-Binge-Watch-Nächten, noch lange, bevor man quasi überall von Instagram-Reels, Werbung und Teasern zum nächsten heißen Serienscheiß bombardiert wurde, war das vorgesetzte TV-Programm das höchste aller Gefühle. In irgendeiner Sendepause plötzlich eine Mini-Promo zu einer kultigen TV-Show erblicken, die einen für immer beeinflusst hat? „Sex and the City“-, „Friends“- und vor allem „Buffy“-Fans können sich sicher noch genau daran erinnern, wann sie das erste Mal von ihrem TV-Darling gehört haben und für immer ein Teil ihres Seins für die Bildschirm-Helden aufgegeben haben.
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"I Saw the TV Glow": Darum geht’s im innovativen Coming-of-Age-Film
Den sucht der junge Owen (später gespielt von Justice Smith) eigentlich noch gar nicht, als er ganz zufällig eine Promo zu „The Pink Opaque“ sieht. Die übernatürliche Teenager-Serie, die im Spätprogramm eines TV-Senders läuft, darf Owen aufgrund seiner restriktiven Eltern eigentlich gar nicht schauen. Doch die nerdige Maddy (Brigette Lundy-Paine) hilft Owen mit einer kleinen Übernachtungsschwindelei auf den Geschmack der Serie zu kommen, die ihn auch in den folgenden Jahren nicht loslassen soll.
Für den stillen und introvertierten Owen sind die Nächte, in denen er gemeinsam mit Maddy an der Seite „The Pink Opaque“ schaut oder eine aufgezeichnete VHS-Kassette heimlich in den heimischen vier Wänden ansieht, wie das Tor zu einer anderen Welt. Dass zu Hause seine feinfühlige, aber gleichzeitig sehr ängstliche Mutter (Danielle Deadwyler) sowie sein bedrohlicher Vater („Limp Bizkit“-Frontmann Fred Durst) das Tor zu Owens eigener Identität schließen, macht sein Bedürfnis mit Maddy durch „The Pink Opaque“ zu connecten nur umso größer…
Horror, Paranoia und die Suche nach dem „Herz“ der eigenen Identität
Oft kommen queere Menschen durch ihren ersten Serien- oder Filmcrush darauf, dass die bisherigen heteronormativen Vorstellungen vielleicht nicht unbedingt dem entsprechen, was im Inneren tatsächlich schlummert und irgendwann auch an die Oberfläche kommen möchte. Dahingehend leisten auch Serien und Filme Pionierarbeit, die eben Protagonist:innen in den Mittelpunkt stellen, die sich nicht an klassischen Rollenbildern bedienen. Für Teenager der 1990er Jahre war „Buffy – Im Bann der Dämonen“ dahingehend auch eine transformative Serie. Genau dieses Gefühl der Zugehörigkeit lässt Jane Schoenborn ihren Protagonisten Owen von Anfang an spüren, auch wenn dieser letztendlich im Verlauf des Films immer wieder mit seinen eigenen inneren Dämonen kämpfen muss.
Wie Jane Schoenbrun die Coming-of-Age-Geschichte in einen parabelhaften (Albtraum-)Trip verpackt, ist die wahre Kunst von „I Saw the TV Glow“: Die Bildsprache ist umwerfend und auch etwas unbehaglich – immer wieder wird das Bildschirmflimmern in den Gesichtern von Owen, Maddy & Co. reflektiert. Doch das Gesehene dringt nicht immer ins Innere. Als Maddy in einem zentralen Dialog des Films ihr gegenüber fragt, ob er nun auf Mädchen oder Jungs steht, erwidert Owen in einer Horror-Metapher, dass seine Eingeweide immer wieder vor ihm ausgeweidet und platziert werden, er aber sich nicht traut richtig hineinzuschauen.
Die großartigen Hauptdarsteller:innen tragen den Film
Als Owen auf die eigentlich simple Frage: „Do you like boys or girls“ mit Nachdruck antworten soll, antwortet er deshalb nur: „I like TV-Shows!“ "Teenage-Angst" überzieht Owens Gesicht regelmäßig, doch sein Kampf mit sich selbst, seinem Umfeld und seiner Liebe zu „The Pink Opaque“ wird von einer reduzierten, aber umso effektvolleren Performance von Justice Smith getragen. Seine Bingewatch-Freundin ist die eigentliche Heldin des Films: Brigette Lundy-Payne brilliert als Maddy und trägt den Film mit ihren so authentischen und effektiven Schauspiel.
"I Saw the TV Glow" schafft es so bemerkenswert, die metaphorische und inhaltliche Ebene mit einer betörenden Bildsprache zu verbinden. Der Horror der Jugendzeit sind nicht unbedingt die Clowns und Monster in beliebten TV-Serien, sondern eben die Gefühlskälte eines überforderten Elternhauses oder die brutale Leere eines Vorstadtkinos. Dass Jane Schoenbrun in ihrem umwerfenden Coming-of-Age-Horrorfilm auch noch ordentlich Nostalgie-Herzschmerz verbreitet und gemeinsam mit Alex G einen fantastischen Soundtrack bereithält, macht aus „I Saw the TV Glow“ für uns jetzt schon eines der großen Kino-Highlights des Jahres 2024.
"I Saw the TV Glow" läuft im Programm der Berlinale 2024 in der Sektion "Panorama". Der Film hat noch keinen deutschen Kinostart!