Als Schauspielerin wirbelte Greta Gerwig die US-Indie-Szene auf. Nun startet ihr Oscar-nominierter Debütfilm "Lady Bird" in den deutschen Kinos. Was die rebellische Titelfigur tatsächlich mit ihr zu tun hat und wie man Greta Gerwig beim Dreh wütend machen kann, verriet sie uns im TVMovie.de-Interview.
The Girl from Sacramento: Seit der US-Premiere von „Lady Bird“ beim Telluride Film Festival im vergangenen Herbst erobert der US-Indie-Film die Herzen von Millionen von Kino-Fans. Greta Gerwig feierte mit dem berührenden Portrait eines rebellischen Teenagers nicht nur ihr Regiedebüt, sondern durfte sich u.a. über fünf Oscar-Nominierungen, auch als beste Regisseurin, freuen. Es ist erst das fünfte Mal in der Geschichte der Preisverleihung, dass eine Frau als "beste Regisseurin" nominiert wurde.
Dass ausgerechnet solch ein persönlicher Film so einen Hype verursacht, kann die 34-jährige immer noch nicht glauben. Ihre Anfänge feierte Greta Gerwig Mitte der 2000er Jahre im Dunstkreis von US-Indie-Darlings wie Joe Swanberg oder Jay und Mark Duplass und erlangte vor allem als Hauptdarstellerin in den Independent-Erfolgen von Noah Baumbach wie „Frances Ha“ und "Mistress America" große Bekanntheit. Im Interview mit TVMovie.de sprach sie nicht nur über ihre Philosophie als Regisseurin, sondern auch über strenge Regeln am Set!
TVMovie.de: Wie viel von Ihnen steckt in "Lady Bird"?
Greta Gerwig: "Eigentlich ist die Figur in meinem Film das genaue Gegenteil von mir, als ich ein Teenager war. Ich hab mir meine Haare nie rot gefärbt oder rebelliert. Ich habe mich mit allen Menschen gut gestellt und brav alle Regeln befolgt. Als ich das Drehbuch dann über diese Figur geschrieben habe, die viele Fehler macht, aber gleichzeitig auch unglaublich mutig und bewundernswert ist, war es sicher auch ein Weg zu sagen: Diese Person war ich im Alter von 17 Jahren einfach nicht! Ich hätte mir gewünscht „Lady Bird“ zu sein. Allerdings weist das Setting natürlich einige Parallelen zu meinem Leben auf: Ich komme aus Sacramento und war auch auf einer katholischen Mädchenschule."
Ist diese Mutter-Tochter-Beziehung in "Lady Bird" autobiografisch?
"Der Film ist nicht direkt autobiografisch, beschreibt aber eine Beziehung, die sich für mich sehr authentisch angefühlt hat. Es gibt in meinem Umfeld viele Inspirationen für diese Art von Mutter-Tochter-Beziehung. Es reicht schon eine wildfremde Frau auf der Straße anzusprechen und sie nach der Beziehung zu ihrer Mutter zu fragen: Man wird vermutlich nie nur einen einzigen Satz zu hören bekommen. Die Beziehungen sind eben immer viel komplexer und nuancierter. Im Kino werden Mütter oft entweder als Monster oder Engel dargestellt. Ich wollte jemanden, der Fehler macht und gleichzeitig unheimlich liebevoll ist."
Nach den Oscar-Nominierungen und den unglaublich positiven Reaktionen: Wie überrascht sind Sie vom Hype um "Lady Bird"?
Wie „Lady Bird“ gerade aufgenommen, gefeiert und von Zuschauern geliebt wird, hätte ich mir in meinen größten Träumen nicht annähernd ausmalen können. Natürlich hofft man auf so etwas, aber erwarten kann man es nicht. Der Film hatte im September beim Telluride Film Festival seine Premiere: Und vom Augenblick der Premiere bis jetzt ist es eine unglaublicher Trip. Es ist für mich sehr berührend über den Film mit verschiedenen Leuten zu reden, ihn auf Festivals zeigen zu können, obwohl es dies eine sehr persönliche Geschichte ist, mit der sich die Zuschauer scheinbar irgendwie identifizieren können. Mich sprechen immer wieder Leute an, die Sacramento nicht kennen, aber eine ähnliche Geschichte durchgemacht haben, weil sie diese Dynamik nachvollziehen können.
Im Film kommt dieses denkwürdige Zitat von Laurie Metcalf vor: "Ich wünsche mir für dich, dass du die allerbeste Version von dir selbst werden kannst." Sind Sie aktuell die beste Version von sich selbst?
"Jetzt gerade nicht, weil ich einen unglaublichen Jetlag habe (lacht). Ich glaube schon, dass ich die allerbeste Version von mir selbst bin, wenn ich am Set arbeite und Regie führe. Wenn ich mit den Darstellern und der Crew arbeite. Ich fühle mich dann wertvoller, als die Summe meiner Teile. Es ist einfach der kollaborative Aspekt des Filmemachens und dieses unglaubliche Umfeld, das dann mein bestes Selbst hervorbringt."
Wie würden Sie sich als Regisseurin beschrieben?
"Ich weiß eigentlich genau, was ich möchte. Als ich früher mit Noah Baumbauch zusammengearbeitet habe, sind wir immer sehr nah am Drehbuch geblieben. „Lady Bird“ knüpft da nahtlos an. Ich mag es, wenn Zeilen so ausgesprochen werden, wie ich sie geschrieben habe. Gleichzeitig möchte ich von meinen Darstellern aber auch überrascht werden, weil sie die Rollen 100%ig verinnerlichen sollen. Mir sind Probephasen wichtig, damit sich alle untereinander gut kennenlernen und sich dabei wohlfühlen Dinge mit mir auszuprobieren. Gerade im Hinblick auf meine Crew ist die Zeit vor dem Dreh einfach enorm wichtig, um eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, weil dafür beim Drehen keine Zeit bleibt."
Wie haben Sie ihre Hauptdarstellerin Saoirse Ronan gefunden?
"Sie hat das Drehbuch geliebt, als sie es gelesen hat. Wir waren 2015 beide zufällig beim Toronto Film Festival und haben uns getroffen und uns dann gegenseitig das Drehbuch vorgelesen. Ich hatte eigentlich sofort das Gefühl, dass ich endlich diese junge Frau getroffen habe, die ich mir bisher nur in meinem Kopf vorgestellt hatte. Ich wusste sofort, dass es passt. Saoirse ist einfach eine unglaublich talentierte Darstellerin. Ich wundere mich immer wieder, wie jung sie ist, weil sie so eine unglaubliche Aura hat, als hätte sie schon sehr viele Leben gelebt. Ich liebe außerdem ihre Ehrlichkeit.
Sie waren schon zu frühen Mumblecore-Zeiten als Co-Regisseurin tätig. Wie haben dich die Erlebnisse von damals beeinflusst?
"Ich habe mit vielem Mumblecore-Größen wie Mark und J. Duplass, Joe Swanberg und Andrew Bujalski zusammengearbeitet. Die Filme waren sehr unterschiedlich, aber alle in einer leidenschaftlichen DIY-Weise gemacht. Am Set war es meist eine "Alle müssen alles machen“-Attitüde: Wir haben alle gelernt, wie Filme konstruiert sind, was beim Drehen funktioniert und was nicht. Das war großartig und sehr hilfreich. Und irgendwie auch befreiend, weil wir ständig am Experimentieren waren und uns austoben konnten, ohne dass jemand eingeschritten ist und uns gesagt hat, was zu tun ist.
Gibt es Dinge, die Sie beim Dreh auch wütend machen?
"Weil ich schon an so vielen Sets war, weiß ich genau, was mich wütend macht (lacht). Ich versuche nur mit Menschen zu drehen, von denen ich weiß, dass wir uns 14 Stunden am Tag aushalten können. Und es gibt eben auch klare Regeln: Ich erlaube bspw. keine Handys am Set, weil sie extrem ablenken. Gerade für Darsteller, die sich konzentrieren müssen und dann irgendjemanden beim Dreh sehen, der auf Instagram herumsurft, lenkt einen total von der Rolle ab."
"Lady Bird" startet am 18. April 2018 in den deutschen Kinos. Den Trailer seht ihr hier: