Der finale Tag des Primavera Sound Barcelona 2024 fiel glücklicherweise nicht komplett ins Wasser: Stattdessen gab es viel Magie und das eine oder andere Tränchen.
Wir rollen einmal von hinten auf: Nicht nur schließt sich in diesem Jahr unser Primavera Sound-Kreis mit einem Konzert im schicken Paral-lel 62 in einem der letzten Primavera a la Cituat-Gigs. Auch im letzten Jahr durften wir hier unsere letzte Primavera-Dosis 2023 feiern. Mit „Cloud Nothings“ gab es einen rockigen "Blast from the Past“. Die Band präsentierte sich damals spielfreudiger und tighter denn je. Ähnlich hat sich auch das Set von „American Football“ angefühlt, aber der Vibe war natürlich ein ganz anderer.
Die Band rund um Frontmann Mike Kinsella löste sich nach ihrem grandiosen Album-Debüt „American Football“ auf. Der melancholische Emo-Pop erinnert immer wieder an „Death Cab for Cutie“, doch lässt die dicht gewebten Gitarren-Klänge sehr lange nachhallen - genauso wie die unverkennbare Stimme ihres Frontmanns. Nach der Veröffentlichung des ersten Longplayers ist eine Art Kult um „American Football“ ausgebrochen. Nach ihrer Reunion im Jahr 2014 hat die Band noch zwei weitere gleichnamige LPs herausgebracht. Doch auf Tour kommen die Mannen rund um Mike Kinsella in Europa nur ganz selten.
"American Football" bringen die Tränen, PJ Harvey den passenden Regen
Dementsprechend vorfreudig war ich auf das intime Cituat-Konzert, das nach dem Regen-Fiasko am Vortag dann doch wie der perfekte Ausklang wirkte. Und ich sollte nicht enttäuscht werden: American Football lieferten ein wunderbares, atmosphärisches und extrem emotionales Set, das zum 25-jährigen Jubiläum des ersten Albums natürlich fast ausschließlich aus dessen Songs bestand. Live kommen diese dichten Klangtexturen und der melancholische Gesang einfach perfekt zur Geltung. Ein wahres Highlight in einem einmal mehr alles andere als Highlight-armen Primavera Sound, das am Vortag jedoch mit einem fiesen Tiefdruck-Gebiet hadern musste.
Als ob PJ Harvey nämlich die Wassermassen bestellt hatte, tröpfelte es zunächst zum Start ihres Sets beim Primavera Sound Barcelona 2024 bevor schließlich der Himmel kein Erbarmen mehr kannte. Davon ließ sich Polly Jean jedoch nicht beirren, sondern stolzierte tänzelnd ein paar Schritte zurück auf der Bühne, doch ließ ihren unnachahmlichen Charme, ihre Wandelbarkeit und ihre musikalische Aura erneut sprechen. Statt sich auf Songs ihres letzten Albums zu beschränken, lieferte die Setliste einen wunderbaren Querschnitt aus dem Schaffen der Ausnahmekünstlerin. Und irgendwie wirkte der Regen irgendwann wie ein weiterer Teil dieser höchst sehenswerten Inszenierung.
Regnerisch war es zum Start des Tages hingegen noch nicht, dafür mit Slow Pulp umso lieblicher. Kontrastprogramm gab es hingegen im wunderbaren Auditori Rockdelux mit den Noise-Pionieren von Wolf Eyes: Knapp eine Stunde an hörenswerten „Krach“ gibt es so in der Form vermutlich wirklich nur am Primavera Sound. Einer der außergewöhnlichsten Auftritt am Festival. Laut, krachig und deutlich melodischer wurde es hingegen bei Bikini Bill: Mit einer epischen Gewitterzelle im Hintergrund lieferte die Female-Punk-Band wirklich extrem druckvoll ab und sorgte für einen rebellischen, feuchtfröhlichen und spaßigen Auftritt, der gleichzeitig auch das Ende unseres Festivaltages einläutete, da wir völlig durchnässt und auch ziemlich übermüdet dann doch den Weg nach Hause antraten.
Primavera Sound Barcelona 2024: Das waren unsere Top 5-Konzerte des Festivals
David:
- American Football (Primavera a la Ciutat)
- The National (Primavera a la Cituat)
- Beth Gibbons
- Deftones
- Gel
Andreas:
- The Last Dinner Party
- The National (Primavera a la Cituat)
- American Football (Primavera a la Cituat)
- Lana del Rey
- PJ Harvey
Primavera Sound Barcelona 2024: Wie fällt unser Fazit aus?
Grundsätzlich ist auch das Primavera Sound Barcelona 2024 ein voller Erfolg: Musikalisch gibt es am großartig kuratierten Programm einmal mehr nur wenig auszusetzen. Der Festivalsamstag wirkte durch die Absage von FKA Twigs etwas dünn im Gegensatz zum überfrachteten Donnerstag, was sich möglicherweise durch eine etwas bessere Programmierung hätte vermeiden lassen können. Und zumindest etwas kontrovers dürfte diskutiert werden, wie sinnvoll es für ein Festival ist, eine Headlinerin wie Lana del Rey auftreten zu lassen, die quasi das komplette (Festival-)Gelände in Beschlag nimmt und für einen eher kontroversen Auftritt sorgt.
Größtes Ärgernis war in diesem Jahr jedoch das Gelände, das in den letzten Jahren eher verschlimmbessert wurde: Die Entscheidung die beiden Hauptbühnen nebeneinander zu platzieren, halte ich weiterhin für einen Fehler, weil zuvor die Zuschaueraufteilung deutlich besser war und auch der Ab- und Zustrom auf Mordor besser gelöst war. Dieses Jahr war außerdem auf mehreren Bühnen der Sound anderer Bühnen (Sound Bleed) zu vernehmen: Die tolle Cupra Stage wird von der zeitgleich laufenden Pull & Bear-Stage sehr heftig beschallt, was gerade bei eher leisen Acts wie American Football und Beth Gibbons ein No-Go ist. Und auch die Plenitude und diesjährige Steve Albini-Stage kämpfen mit den Elektro-Klängen des angrenzenden Boiler Rooms. Hier haben die Verantwortlichen unnötig das Gelände zusammengepfercht.
Und auch logistische Dinge wie der Zugang zu Wasserstellen sollten verbessert werden. Trotz aller Kritikpunkte bleibt das Primavera Sound Barcelona eines der attraktivsten Musikfestivals der Welt, weil kaum ein anderes Event ein dermaßen diverses Lineup aufweist.