Die grausame, aber auch faszinierende Geschichte von „Squid Game“ machte die Netflix-Serie zu einem internationalen Hit. Aber hat die farbenfrohe Horrorshow einen wahren Hintergrund?
Das Konzept von tödlichen Spielen ist nicht neu, aber zeitlos. In Deutschland gab es bereits 1970 „Das Millionenspiel“, Stephen King veröffentlichte 1982 „Menschenjagd“, 1987 wurde daraus der Film „Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger. 1999 und 2000 erschien in Japan der Roman „Battle Royale“ und die gleichnamige Verfilmung, und 2008 erschien der Auftakt der „Die Tribute von Panem“-Saga.
Diese Geschichten prangerten auf überspitzte Art gesellschaftliche oder ethische Missstände an und wurden sicher teilweise voneinander inspiriert. Eine wahre Vorlage für die potenziell lukrativen, höchstwahrscheinlich aber tödlichen Wettbewerbe gab es glücklicherweise nicht.
Mit „Squid Game“ hat dieses eigene, kleine Mini-Genre im Jahr 2021 einen prominenten neuen Vertreter hinzugewonnen. Die Netflix-Serie wurde ein internationaler Erfolg, auch die zweite Staffel ist aktuell auf Rekordkurs. Neben der grundsätzlich unheimlichen, aber auch spannenden Geschichte prägt sich vor allem die einzigartige Optik von „Squid Game“ ein. Die Anlage, in der die Spiele stattfinden, erinnert an ein Kinderzimmer; grelle Farben bilden einen starken Kontrast zum schrecklichen Geschehen.
Bisher galt „Squid Game“ als rein fiktionale Geschichte, doch nun kursieren im Internet Bilder, die einen realen Hintergrund vermuten lassen. Wie echt ist „Squid Game“ also wirklich?
Squid Game: Falsche Bilder wecken schreckliche Erinnerungen
Bei den angeblichen Fotos von Räumen, die optisch durchaus an die Gänge und Treppen aus „Squid Game“ erinnern, handelt es sich um KI-Kreationen. Dieser Ort hat also nie existiert und ist nur eine technische Spielerei, die von vielerlei Social-Media-Accounts als real ausgegeben wird. Der Schriftsteller Efe Levent, von dem die Bilder stammen, macht auf seiner Instagram-Seite auch kein Geheimnis aus ihrem KI-Ursprung.
Ist die Geschichte damit geklärt? Leider nein, denn die falschen Bilder weckten gerade in Südkorea Erinnerungen an tatsächliche Ereignisse, die sich in den Siebziger- und Achtzigerjahren zugetragen haben.
Brothers Home: Jahrzehntelanger Schrecken in „Koreas Auschwitz“
Nach dem Koreakrieg zu Beginn der Fünfziger wollte die südkoreanische Politik Waisenkinder und Obdachlose aus den Städten schaffen, wo sie als Makel galten. Im Rahmen von „Säuberungen“ wurden sogenannte „Vagabunden-Patrouillenteams“ ausgesandt, um Ausschau nach Personen ohne festen Wohnsitz zu halten.
In Internierungslagern wurden diese dann eingesperrt und zur Arbeit gezwungen. Gerade in den Achtzigerjahren, vor den Olympischen Sommerspielen in Seoul, entstanden viele Lager dieser Art. Das größte von ihnen war das ehemalige Kinderheim „Brothers Home“. 20 bis 30 Personen sollen täglich gegen ihren Willen dorthin gebracht worden sein. Dabei stellte sich erst bei anschließenden Ermittlungen heraus, dass von den Inhaftierten weniger als 10 Prozent wirklich obdachlos waren. Kinder, die ohne elterliche Begleitung unterwegs waren oder Erwachsene, die sich bei der Patrouille nicht ausweisen konnten, wurden ohne weitere Nachforschungen mitgenommen.
Es kam zu körperlicher und geistiger Folter. Schätzungen zufolge starben 500 bis 600 Personen während des Betriebs der Einrichtung. Im Jahr 1986 wurden die Misshandlungen aufgedeckt und „Brothers Home“ wurde geschlossen. Der Direktor der Einrichtung wurde nach zweieinhalb Jahren wieder aus dem Gefängnis entlassen. Die unmenschlichen Gräuel im „Brothers Home“ brachten den Ereignissen in den südkoreanischen Medien den Namen „Koreas Auschwitz“ ein.
Doch in welcher Verbindung steht das „Brothers Home“ nun – angeblich – mit „Squid Game“?
Squid Game: Eine schreckliche Tragödie in der kollektiven Erinnerung Südkoreas
In den wenigen Bildern, die es aus dem „Brothers Home“ gibt, ist zu erkennen, dass die Inhaftierten blaue, nummerierte Trainingsanzüge tragen mussten – ähnlich wie die grünen Anzüge aus „Squid Game“. Zudem schliefen sie in Etagenbetten, wobei diese in deutlich engeren, kleineren und dunkleren Räumen untergebracht waren als in der Netflix-Serie.
Zu den Foltermethoden der Wachen im „Brothers Home“ gehörten sogenannte „Spiele“, in denen die Inhaftierten auf einem Bein stehen mussten und andernfalls bestraft wurden. Erst im Jahr 2018 entschuldigte sich Präsident Moon Jae-in öffentlich bei den Opfern und versprach eine vollständige Untersuchung, deren Ergebnisse im Jahr 2022 erschienen und der südkoreanischen Regierung die Schuld zusprachen.
Somit befanden sich diese Ereignisse in den letzten Jahren wieder frisch in der Erinnerung der Bevölkerung Südkoreas, was in gewisser Weise erklärt, warum hier Verbindungen zu „Squid Game“ vermutet wurden.
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Squid Game: Das sagt der Erfinder der Serie
„Squid Game“-Schöpfer Hwang Dong Hyuk nannte „Brothers Home“ nie als Inspiration und antwortete laut Variety kurz nach dem Start von „Squid Game“ Staffel 1 auf die Frage, wie er auf die Idee zur Serie kam:
„Als ich [mit der Arbeit an „Squid Game“] anfing, war ich selbst in finanziellen Schwierigkeiten und verbrachte viel Zeit in Cafés, um Comics wie 'Battle Royale' und 'Liar Game' zu lesen. Ich fragte mich, wie ich mich fühlen würde, wenn ich selbst an den Spielen teilnähme. Aber ich fand die Spiele zu komplex und habe mich für meine Arbeit stattdessen auf Kinderspiele konzentriert.“
Somit ist es nicht auszuschließen, dass „Brothers Home“ Dong Hyuk zumindest unterbewusst inspirierte, doch die Verbindungen sind nicht ausreichend, um von einer „realen“ Version von „Squid Game“ sprechen zu können.