Cate Blanchett brilliert in dem oscarnominierten Musikdrama „TÁR“. Warum der Film schwer verdaulich und ein Meisterwerk zugleich ist.
Aller guten Dinge sind drei – von dem Motto machte Schauspieler und Regisseur Todd Field („In The Bedroom“, „Little Children“) Gebrauch und brachte mit „TÁR“ sein heißersehntes drittes Werk auf die Kinoleinwand. Sein Debüt bei den Oscarnominierungen feiert Field zwar nicht, doch hat er endlich die besten Chancen, die goldene Trophäe mit nach Hause zu nehmen.
Für die Hauptrolle der Komponistin und Dirigentin Lydia Tár wollte Field keine Geringere als Cate Blanchett („Der Herr der Ringe“, „Der seltsame Fall des Benjamin Button“, „Elizabeth“) – glücklicherweise hatte die zweifache Oscarpreisträgerin Zeit und verhalf mit ihrer brillanten Umsetzung der Hauptfigur dem Film zu dem Erfolg, den er durchaus verdient.
TÁR: Düster, schwermütig und alles andere als das, was man erwartet
Es sei vorweg schon einmal gesagt: „TÁR“ ist alles andere als leichte Kost und kein Film, bei dem sich das Kinopublikum zurücklehnt und berieseln lässt. Er ist anspruchsvoll, wenn er auch zu Beginn mit den ganzen musikalischen Fachbegriffen einschläfernd wirkt und man sich fragt: „Was schaue ich hier überhaupt?“ Aber das ist nicht schlimm – es ist keine Voraussetzung, dieses „klassische Musik Bla Bla“ im ersten Drittel des Filmes zu verstehen. Manch einer wird vermutlich einen Musikfilm erwarten, doch das trügerische Anfangsbild entpuppt sich langsam aber sicher zu einem düsteren Thriller mit Horror-Elementen und einer Prise schwarzen Humors.
TÁR: Eine Kurze Inhaltsangabe
Lydia Tár hat alles im Leben erreicht: Sie ist eine der weltbesten Maestro, konnte sich als erste weibliche Chef-Dirigentin eines deutschen Orchesters durchsetzen und sich dadurch einen schicken Lifestyle in Berlin leisten und diverse Preise abräumen, darunter Grammy, Oscar und Tony. Mit ihrer Lebensgefährtin Sharon (Nina Hoss) hat sie eine gemeinsame Tochter. Alles scheint perfekt, doch Lydias Dämonen aus der Vergangenheit suchen sie heim. Dazu gehört nicht zuletzt der Selbstmord ihrer ehemaligen Schülerin (und vermutlich sogar Affäre, doch das bleibt offen) Krista, der für heftige Demonstrationen sorgt und regelrecht eine Cancel-Culture im Film hervorbringt.
Die Geräusche, die Lydia immer wieder im Alltag wahrnimmt und die einen Verfolgungswahn in ihr auslösen, stehen symbolisch für ihre vergangenen Taten. Die Frage, die bis zum Schluss im Raum steht: Hat Lydia Tár, die im Übrigen ein fiktiver Charakter ist, ihre Machtposition missbraucht und die Zukunft angehender Musiker:innen zerstört oder ist sie wirklich das Opfer, als das sie sich selbst darstellt? Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel mit ihrem Schatten-Ich.
Schließlich stellt noch obendrauf die junge russische Cellistin Olga (Sophie Kauer) als wahres Naturtalent das Leben der sonst so beherrschten Lydia Tár auf den Kopf und der/die Zuschauer:in fragt sich: Wird Olga ihr nächstes Objekt der Begierde und viel wichtiger: wird sie überleben?
TÁR: Musik, so mitreißend wie ein Sturm
Um sich von der Musik, der 5. Sinfonie Gustav Mahlers, die das Hauptwerk Társ im Film darstellt, den Klavierklängen Bachs und all den Höhen und Tiefen des grandiosen Orchesters mitreißen zu lassen, braucht es kein besonderes Musikverständnis. Wer Nackenhaare besitzt, wird schon auf seine Kosten kommen. Für die musikalischen Untermalungen wurde zudem keine Geringere als die isländische Cellistin und Komponistin Hildur Guðnadóttir verpflichtet, die für ihre Filmmusik zu „Joker“ (2019) mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Also doch irgendwie ein Musikfilm, aber nicht in erster Linie für Kenner, sondern für Genießer.
TÁR: Cate Blanchett verkörpert perfekt den „alten weißen CIS-Mann“
Sie hält nichts vom Gendern und wird von ihrem pansexuellen Studenten Max, der es ablehnt „die Werke weißer CIS-Männer“ zu spielen, als Bitch betitelt – zurecht? Immerhin verkörpert Cate Blanchett (53) in ihrer Rolle als Lydia Tár all das, wogegen sich junge Menschen heute auflehnen.
Es scheint, als sei die Figur Blanchett auf den Leib geschrieben – kein Wunder, dass Field nur sie für die Lydia Tár vorgesehen hatte und keine andere. Mit ihrem kühlen Chic, ihren eindringlichen, fast schon durchbohrenden Augen und der einschüchternden Aura schafft es die Schauspielerin, Angst vor Lydia und doch Mitgefühl für sie zu haben – eine komische Mischung. Sie ist alles andere als ein Sympathieträger in der Geschichte, auch wenn Blanchetts brüchiges Deutsch sie wiederum ein stückweit sympathisch macht. Für den Oscar als beste Hauptdarstellerin ist sie nominiert – den BAFTA-Darsteller-Preis für ihre bemerkenswerte Arbeit darf sie bereits ihren nennen.
In einem Interview mit „The Hollywood Reporter” kam Todd Field, der auch das Drehbuch für „Tár“ schrieb, gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus: „Sie [wollte] alles verstehen. Das war gewaltig. Cate tauchte buchstäblich am ersten Probentag auf und sie kannte das gesamte Drehbuch, als wäre es ‚Hamlet‘. Ich spreche nicht nur von den Dialogen, sondern auch von den Regieanweisungen. Sie lernte Deutsch und wie man Bach auf dem Klavier spielt und wie man dirigiert […]“
Einen Oscar durfte "Tár" leider nicht mit nach Hause nehmen.
"TÁR" - seit dem 2. März im Kino
Text: Regina Joos